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Papa

Papa

Titel: Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven I. Hüsken
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stand, gegen das ein Deckel mit einem Loch in der Mitte lehnte und aus dem das Gesumme von Hunderten von Fliegen tönte, gingen sie über einen Flur in einen Saal.
    Vor einer Bühne mit heruntergelassenem Theatervorhang standen zwei Reihen Stühle. Die Wände waren mit rotem Teppich verkleidet, und Kronleuchter sorgten für schummriges Licht. Es sah aus wie die Miniaturausgabe eines Staatstheaters.
    »Da sind wir«, sagte Ya-Long, hörbar vergnügt. »Das Theater. Hier spielen sich die
wirklich
spannenden Szenen ab.«
    Michelle klammerte sich an ihre Tasche. Sie traute sich nicht, den Verschluss zu öffnen, denn ein kleiner Funke Hoffnung flüsterte ihr zu, dass alles gut ausgehen würde, auch wenn es im Augenblick ganz und gar nicht danach aussah. Es lag eine Bedrohung in der Luft, die sie nicht zu fassen bekam.
    Ya-Long drehte sich zu ihr. Wie ein Zauberer hielt sie plötzlich etwas in ihrer Hand, das Michelle bekannt vorkam. »Diese Räume, Michelle, sehen eigentlich nur die zahlenden Kunden.«
    »Ich habe bezahlt.«
    Ya-Long lächelte. »Zweitausend Euro? Nein, wer hierherkommt, zahlt ein Vielfaches dessen. Und nur wer bar zahlt, darf diese Räume aufrecht verlassen.«
    Die Chinesin ging um Michelle herum. »Der Mensch ist ein Tier.« Sie bot ihr mit einer Handbewegung einen Platz an, und erst als sie beide saßen, redete sie weiter. »Einen Tiger kann man nicht zähmen. Die wilde Natur kommt immer zum Vorschein. Was ich hier in diesen Räumen biete, ist die Möglichkeit, die Fesseln zu lösen und dem Monster eine Weile die Freiheit wiederzugeben. Was glauben Sie, würde passieren, wenn sich diese Monster nicht ab und zu austoben würden? Ich bewahre viele Frauen und Kinder davor, in die Fänge dieser wilden ungezähmten Menschen zu geraten. Betrachtet man dieses Geschäft mit Abstand, dann erkennt man die Vorteile.
    Hätte Tom meine Dienste in Anspruch genommen, würden Sie, liebe Michelle, wahrscheinlich heute noch glücklich mit ihm verheiratet sein. Und die liebreizende Lilly wäre in Freiheit.« Sie drehte sich zur Bühne und legte ihre Arme rechts und links über die Rückenlehnen der Stühle.
    Dann hob sie eine Hand, und kurz darauf glitt der Bühnenvorhang in die Höhe. »Dies habe ich arrangieren lassen, als ich von der Flucht Ihres Exmannes hörte. Es ist quasi die Requisite einer Inszenierung, die ich bis ins Detail geplant habe.«
    Michelle ließ ihren Blick über die Bühne schweifen. Für vieles, was dort stand, hatte sie keinen Namen, und doch kam kein Zweifel auf, wofür es gedacht war.
    Im Hintergrund stand ein Gemälde, das bis zur Decke reichte. Dargestellt waren Dämonen in einer Melange aus Feuer und Schlangen. Wie ein Fächer aus unzähligen Schwertern durchschnitt göttliches Licht aufsteigenden Rauch.
    Rechts stand eine Wand, die vollgepackt war mit Werkzeugen und Peitschen. Fleischerhaken baumelten von der Decke, und der Boden war übersät mit Metalldornen, die alle nicht größer waren als Fingernägel.
    Doch all das war nur der Rahmen für das Prachtstück in der Mitte. Aus massivem und geschliffenem Holz stand dort eine Art Pranger. Eine Holzscheibe, bei der man mittig ein rechteckiges Loch gelassen hatte, bildete das Kernstück. Sie war groß genug, um einen Mann mit eisernen Hand- und Fußfesseln anzuketten.
    Vor Michelle entfaltete sich ein Panoptikum des Grauens, das den Sprung aus den wirren Gedanken eines Psychopathen in die Realität gewagt hatte.
    Ya-Long seufzte. »Ist das nicht herrlich? Ein Laboratorium der Superlative. Sie sprachen von Rache, Michelle. Dies hier dient nicht der Rache. Aber Ihr Exmann kam auf mich zu. Als Kunde. Und dann hat er durch sein unbedarftes Handeln meine Integrität infrage gestellt. Dies hier war für ihn gedacht.« Sie zeigte Michelle, was sie die ganze Zeit in der Hand hielt.
    Es war ein Polaroid. Nur dieses war verstörender als das, was Michelle bekommen hatte. Die gehäutete Frau darauf war von oben bis unten aufgeschlitzt, und ihre Gedärme waren herausgerissen. »Man hat mir eine Warnung zukommen lassen und will mich hiermit in Angst versetzen.« Als Michelle das Foto nicht in die Hand nahm, steckte Ya-Long es wieder ein. Sie richtete einen Zeigefinger auf die Bühne. »Dort wird derjenige spüren, wie heiß Läuterung sein kann. Ich verstehe mein Geschäft und weiß, wie man mit Männern umzugehen hat. Vielen Dank für die Warnung, Michelle, aber Sie sehen, die habe ich nicht nötig.«
    Ya-Long zog ein Etui aus ihrem Kimono, nahm eine

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