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Papa

Papa

Titel: Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven I. Hüsken
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musste.
    »Von einer Autobahnbrücke, ja?«
    Sie nickte.
    »Und wenn mich jemand sieht?«
    »Bisher hat dich auch niemand gesehen.«
    »Ja, weil ich vorsichtig bin.«
    »Du kannst wieder vorsichtig sein.«
    »Wenn ich ihn von der Brücke stürze, wird das nichts ändern.«
    »Warum nicht?«
    »Weil man feststellen wird, dass er schon tot war.«
    Lillian kniete sich zu dem Reporter und nahm seinen Kopf in die Hand.
    Tommi musterte die toten Augen. »Was glaubst du, hat er gedacht, als ich …«
    »Gar nichts«, unterbrach sie ihn. »Du hast ihn überrascht.«
    Die Augen der Leiche waren halb geöffnet. Es sah aus, als schaute er sie an. Lillian bekam eine Gänsehaut. Sie durfte Tommi nicht wütend machen. Sie dachte an ihre Wange, die noch immer brannte. Sonst würde er das da aus ihr machen. Ein Ding mit vertrockneten Augen. Sie musste das liebe Mädchen spielen. Ganz gleich, was passierte.
    Plötzlich stand sie auf. »Weißt du was, lass ihn einfach hier. Lass ihn hier, und wir fahren weg. Ganz weit. Irgendwohin, wo es schön ist. Und warm. Nach Italien vielleicht oder nach Frankreich. Ich mag Frankreich.«
    Tommis Miene verfinsterte sich.
    Ein schlechtes Zeichen, dennoch musste sie es probieren. Fliehen war zwecklos. Wo
sie
war, war auch
er
. Sie hatte nur eine Möglichkeit, hier heil herauszukommen: Sie musste ihn dazu bringen, aufzuhören. Dieses Ritual, von dem er immer sprach, sie musste es unterbrechen. »Ich möchte das Meer sehen. Und die Berge. Ich möchte am Strand liegen, die Sonne auf meiner Haut spüren.« Sie ließ den Kopf des Reporters zurück auf den Teppich fallen. »Das hier will ich nicht.«
    Tommi packte sie am Arm und zog sie unsanft zu sich hoch. »Du wirst dich schon daran gewöhnen. Entweder das, oder ich muss mir etwas anderes ausdenken.«
    In der Küche klingelte die Eieruhr. »Geh jetzt auf dein Zimmer. Es ist Zeit für deine Medizin.«
    »Ich will die nicht mehr nehmen.«
    »Was du willst, ist mir egal, hörst du? Entweder du nimmst deine Medizin, oder du gehst mit mir in den Keller.«
    Schlagartig wurden Lillians Beine weich. Ihr Herz setzte für zwei Schläge aus, und es fühlte sich an, als säße sie in der Achterbahn auf dem Weg nach unten. »Nein«, hauchte sie und ging wieder auf die Knie. »Nicht in den Keller. Bitte! Ich will nicht zu dem Monster.« Tränen schossen ihr in die Augen, und sie hasste sich dafür. »Nicht in den Keller«, wiederholte sie und klammerte sich an sein Hosenbein.
    Väterlich streichelte er ihren Kopf. »Dann weißt du, was du zu tun hast.« Er griff in seine Tasche und holte einen zerschnittenen Blister heraus. Den gab er ihr. Unsicher entnahm sie eine Tablette und steckte sie sich in den Mund. »Geh du bitte auch nicht da runter«, flehte sie. »Bitte! Lass uns hier wegfahren. Es muss ja nicht weit sein. Nur ein Stück.«
    Tommi stieß sie weg. Sie fiel über die Leiche und stieß mit dem Hinterkopf gegen die Wand. Ihr Schädel dröhnte, und sie biss sich auf die Lippen, um nicht laut aufzuschreien.
    »Weißt du, Lillian, ich habe keine Wahl. Du wirst mich nicht umstimmen können. Niemals. Dafür ist das, was ich hier mache, viel zu groß.«
    Ich werde aber nicht aufgeben, dachte sie und strich mit einer Hand über den pochenden Hinterkopf. »Was ist mit Mama?«
    Auf Tommis Stirn bildeten sich Furchen, und er schob die Augenbrauen zusammen. »Was soll mit ihr sein?«
    »Du hast gesagt, sie wär auf dem Weg hierher.«
    Tommi lachte auf. »Ja, und das ist sie noch. Aber sie hat noch eine Kleinigkeit zu tun, weißt du. Wenn sie damit fertig ist, kommt sie hierher.«
    »Ich will zu ihr.«
    Er reichte ihr eine Hand und zog sie auf die Beine. »Ich weiß. Aber bis dahin sorge
ich
für dich. Habe ich das nicht immer getan? Bin ich nicht immer dein Papa gewesen?«
    Sie nickte.
    »Siehst du. Und ich werde es auch weiterhin tun. Du bist mein Mädchen.«
    »Und warum sperrst du mich ein?«
    Er nahm sie in den Arm und drückte sie. Lillian schloss die Augen. Sein Körper fühlte sich hart an. Unnachgiebig. »Weißt du, mein Schatz«, sagte er, »es liegt an den Medikamenten. Solange du die nehmen musst, darfst du nirgendwohin. Außerdem sind wir doch eine Familie. Du gehörst zu mir. Untrennbar. Wir zwei«, er streichelte ihr über den Kopf, ließ ihre Haarsträhnen durch die Finger gleiten, »sind eins.«
    Lillian schluckte. Seine Worte machten ihr Angst. Nur würde sie das nicht zeigen. Sie musste sich etwas einfallen lassen, ihn umzustimmen. Er musste das

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