Papa
geschlafen, als ich gepackt wurde. Es war zu dunkel, um etwas zu sehen. Es ging so schnell, ich habe mich gewehrt, bin gestürzt und hier aufgewacht. Verdammt, Michelle«, er streckte seinen Nacken und sah sie an. »Es tut mir so leid. Ich hätte mir den Wichser direkt krallen sollen. Ich habe mich überrumpeln lassen. Vielleicht war das die beste Chance, um Lilly lebend zu finden. Such, such nach Werkzeugen. Hier muss doch irgendwo etwas rumliegen.«
Selten hatte Michelle ihn so aufgebracht gesehen, und so verzweifelt.
Ihr Handy klingelte.
»Ich bekomme dich hier schon raus. Mach dir keine Sorgen. Du bist in Sicherheit.« Sie ging ran.
»Hallo Michelle.« Die Stimme kam aus einem anderen Universum. Einer schrecklichen, irrealen Dimension. Und doch war sie so nah.
Verrauscht, leise. Aber nah.
Michelle klammerte sich an das Handy, um es nicht zu verlieren, und lauschte. Hörte es sich nach Tom an? Es musste Tom sein.
»Hallo Michelle, mein Schatz«, wiederholte die Stimme. »Wie gefällt dir meine Überraschung?«
Aus ihrem tiefsten Innersten kam ein Lachen, das sie nur mit Mühe unterdrücken konnte. »Er ist am Leben, Tom. Dein Plan hat nicht funktioniert. Die Rettungskräfte sind hierher unterwegs.« Das war gelogen, aber das musste er ja nicht wissen. »Du Schwein hast dich verschätzt. Gib mir Lilly zurück.«
»Nun, Lilly schläft gerade, schätze ich, aber es geht ihr gut. Du wirst sie bald schon sehen. Was Maik angeht, nun, da kann ich dir versichern, dass mein Plan noch nicht gescheitert ist.«
Die Ketten, die Maiks Füße fesselten, schienen sich auch um Michelles Herz zu legen. »Verdammt, Tom, was hast du vor? Du willst dich an mir rächen, aber warum Lilly? Sie hat dir nie etwas getan. Im Gegenteil, sie hat dich gemocht. Du warst immer ihr Papa. Warum?«
»Das wirst du bald schon wissen. Lernen ist häufig schwere Arbeit.« Er lachte.
»Es tut mir leid, was passiert ist. Der Ausrutscher mit Maik war ein Versehen. Es wird nie wieder vorkommen, aber gib mir bitte meine Tochter zurück. Nur meine Tochter.« Tränen liefen ihr heiß über die Wange.
»Ja, das stimmt, Michelle. Es kommt nicht wieder vor. Was das angeht, sollten wir nun weitermachen. Ich möchte nicht riskieren, dass dein Handy vorher den Geist aufgibt, nicht wahr? Obwohl es auch dafür eine Lösung gibt. Also hör mir jetzt sehr genau zu und rede von nun an nur noch mit mir. Hast du mich verstanden?«
Michelle schaute auf Maik, der fragend zurückschaute. Dann nickte sie. »Ja. Ja, ich habe verstanden.«
»Sehr schön«, er atmete tief ein und aus. »Dann schau dich doch mal um. Irgendwo in der Nähe müsste ein kleines Schächtelchen liegen. So eins aus Holz.«
Michelle stand auf und schaute sich um. Es war noch immer dunkel, aber inzwischen hatten sich ihre Augen daran gewöhnt. Am Fuß eines Pfeilers sah sie die Schachtel. Sie war aus Holz und für Zigarren gedacht. »Ja, ich habe sie. Und weiter?«
»Nur nicht ungeduldig werden, kleine Michelle. Im Innern findest du zwei Apparaturen. Die sind toll. Sie werden dir gefallen, vertrau mir. Hol sie raus.«
Vorsichtig hob sie den Deckel Stück für Stück und schaute hinein.
In der Schachtel lagen zwei – nun, Michelle konnte nicht sagen, was es war, für sie sahen sie aus wie etwas, das eigentlich in einen Kirschentkerner gehörte. Sie nahm eine der Apparaturen heraus.
»Ja, ja, was ist es nur? Ich will es dir ganz unverblümt sagen. Mit diesen überdimensionierten Kugelschreibern hat eine ganze Berufsgruppe früher viel Spaß gehabt. Sie funktionieren sogar so ähnlich wie Kugelschreiber. Heute werden sie nicht mehr so häufig eingesetzt, weil Tierschützer sich aufgeregt haben. Aber«, er lachte auf, »Maik ist ja zum Glück kein Tier, nicht wahr? Nicht im eigentlichen Sinne, meine ich. Es sind Bolzenschussgeräte, liebe Michelle. Hübsche Spielzeuge für hässliche Aufgaben.«
Michelles Beine gaben nach. Sie sackte zu Boden. Nein, das hatte er nicht vor. Nein. Nicht das.
»Sei bitte vorsichtig damit, die Bolzen sind bereits gespannt, für den Fall, dass du nicht kräftig genug sein solltest.
Ich will dir gern erklären, wie sie funktionieren: Also sperr deine süßen Lauscherchen ganz weit auf, damit du keine Fehler machst. Es sind zwar keine Tierschützer in der Nähe, aber Maik soll ja dennoch nicht allzu sehr leiden, nicht wahr?
Im Innern des Geräts befindet sich ein Bolzen, der mithilfe einer Feder gespannt wurde. Das habe ich – ganz Gentleman, der ich nun mal
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