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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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Flaschenhals auf den Tischrand und schlug einmal mit der flachen Hand dagegen. Der Kronkorken rollte über den Boden, Schaum spritzte aus der Flasche über meine Hand und meine Hose, bis ich ihn mit dem Mund auffing.
    Kaum hatte ich den ersten Schluck genommen, wurde oben die Dusche abgestellt. Er konnte kaum lange genug da drinnen gewesen sein, um so nass zu werden, wie ich es von meinem Bier geworden war.
    Und dann hörte ich sie reden, erst seine Stimme, dann ihre, und langsam wurde mir klar, dass sie noch im Haus war. Ich ging wieder ins Wohnzimmer, das Bier in der Hand, und traf sie, als sie die Treppe herunterkam.
    Sie war noch im Nachthemd, die Haut um ihre Augen schlafverquollen. Sie hatte sich gestern Abend das Make-up nicht mehr abgewischt und war barfuß, ihre Arme hatten Grübchen und sahen pummelig aus.
    »Was glaubst du, was du hier treibst?« fragte sie und schaute auf das Bier.
    Ich hörte, wie mein Bruder überall anstieß, weil er sich so beeilte.
    »Dies ist keine öffentliche Badeanstalt«, sagte sie.
    Ich setzte mich aufs neue Sofa. »Wir waren zuerst hier«, sagte ich. Diese Frau würde mich nicht aus dem Haus verjagen, in dem ich geboren worden war. Notfalls, so malte ich mir aus, würde ich einen Monat an dieser Stelle sitzen bleiben.
    »Ich habe es deinem Bruder gesagt, und jetzt sage ich es dir«, erwiderte sie. »Kommt nie wieder in dieses Haus, ohne vorher anzuklopfen.«
    Ich sah zur Treppe hinauf. »Ist dein Zeitungsjunge oben?«
    »Das reicht«, sagte sie. »Raus hier.«
    Ich setzte die Flasche an die Lippen, nahm einen Schluck, beobachtete sie und machte es mir auf dem Sofa bequem.
    »Ich möchte diese ganze Angelegenheit nicht noch unangenehmer werden lassen, als sie es bereits ist«, sagte sie.
    Plötzlich kam es mir so vor, als wäre mein Vater mit uns im Zimmer und wir beide maßen unser Benehmen daran, welchen Eindruck wir in seinen Augen machten. Mir tat meine Bemerkung mit dem Zeitungsjungen leid, da ich wusste, dass er darüber traurig gewesen wäre.
    »Wir sind nur gekommen, um zu duschen«, sagte ich. »Im Motel gab’s kein Warmwasser.«
    Ich merkte, dass sie langsam verstand, dass wir nicht über Nacht bleiben wollten. In diesem Augenblick kam Ward mit tropfnassem Haar die Treppe herunter, in denselben Kleidern, mit denen er das Haus betreten hatte, Schuhe und Socken in der Hand.
    »Fertig?« fragte er.
    »Ich werde jetzt duschen«, sagte ich, stand auf, nahm mein Bier und frische Wäsche und ging an ihr vorbei die Treppe hinauf. Einen unangenehmen Moment lang dachte ich daran, dass ich meinen Bruder mit dieser Frau allein im Wohnzimmer zurückließ.
    »Das wird für uns alle kein Vergnügen«, sagte sie, aber ich ging weiter nach oben und folgte den nassen Fußspuren meines Bruders bis ins Bad.
    Ich verschloss die Tür, stellte die Dusche an und setzte mich auf die Toilette, um mein Bier auszutrinken. Meine Hand zitterte. Ich konnte mir allerdings nicht erklären, wieso ich wieder daran dachte, mit ihr zu schlafen. Rund um das Waschbecken standen ihre Sachen – Lippenstift, Make-up, Bürsten, Parfüm –, und im Mülleimer lag die Packung einer Monatsbinde. An den Haken hingen frische Badetücher.
    Ich stellte die Flasche auf den Boden neben der Toilette, stand auf, öffnete das Medizinschränkchen und sah, dass sie das ebenfalls mit Beschlag belegt hatte. Dexedrine.
    Ob sie früher dick gewesen war?
    Ich zog mich aus, ließ meine Kleider zu Boden fallen und stieg in die Dusche. Am Wasserhahn hing eine Bürste, wo vorher keine gehangen hatte, und ich schrubbte mir damit die Hände. Die Seife war seltsam parfümiert, den Namen des Shampoos hatte ich noch nie gehört.
    Ich blieb lange unter der Dusche, nahm mir vor, das gesamte Warmwasser zu verbrauchen, damit Miss Guthrie an diesem Morgen kalt duschen musste. Aber dann fiel mir Ward wieder ein, und ich drehte schließlich den Wasserhahn zu, trat heraus und trocknete mich ab.
    Als ich nach unten kam, war Ellen Guthrie in der Küche und Ward saß draußen im Wagen. Ich hörte, wie sie den Hörer abnahm, und einen Moment später fiel mir der Geruch der schmutzigen Kleider in meiner Hand auf, ranzig und süß zugleich. Man sondert einen gewissen Geruch ab, wenn man Angst hat.
    Leise ging ich aus dem Haus und warf die Kleider in die Mülltonne an der Auffahrt. Dann ließ ich den Wagen an – das Motorengeräusch lockte eine Nachbarin an ihr Fenster – und fuhr in die Stadt zum Büro meines Vaters. Der Geruch der Kleider klebte

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