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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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mir, als hätte ich mich nur vorgebeugt, um den Zigarettenanzünder rauszuziehen.
    DER MANN AM EMPFANGSTRESEN im Büro des Sheriffs von Moat County blickte erst auf, als Ward verstummte. Doch dann sah ich, dass seine Augen rot angelaufen waren, als hätte er zu viel getrunken. »Also, was wollen Sie?« fragte er.
    Mein Bruder trug ihm sein Anliegen mit denselben Worten noch einmal vor, und der Mann nickte ununterbrochen und erinnerte uns daran, dass er all dies schon einmal gehört hatte. Kaum war Ward fertig, sagte er: »Aber ich habe Sie doch schon einmal gefragt, was Sie nun eigentlich wollen.«
    »Ich hätte gern gewusst, wie ich Hillary Van Wetter finden kann«, sagte Ward.
    Der Mann am Tresen wurde plötzlich wütend. »Und warum?«
    Ward gab nicht auf, und als ich erklären wollte, dass es da noch einige Fragen gäbe, unterbrach er mich, noch ehe ich richtig angefangen hatte.
    »Eine Privatsache«, sagte Ward.
    Der Deputy lächelte. »Ihr seid doch die beiden, die diese Geschichte in der Zeitung geschrieben haben, stimmt’s?« fragte er. »Und jetzt merkt ihr, dass es nicht so war, wie ihr geschrieben habt?«
    Mein Bruder gab keine Antwort. Er rührte sich nicht, er wartete nur. »Wisst ihr, dass er einem Mann den Daumen abgehackt hat?« fragte der Deputy. Er sah jetzt mich an, und ich nickte. »Wegen eines Strafzettels für Falschparken?«
    Der Deputy starrte erst seinen Daumen und dann wieder Ward an. »Gibt es hier jemanden, der uns sagen kann, wo wir ihn finden können?« fragte Ward.
    »Da könnte man einem Mann ebenso gut die Hand abhacken«, sagte der Deputy.
    Ward blieb stumm, der Deputy dachte nach.
    »Ich sage Ihnen, wo er ist«, sagte er schließlich. »Dann können Sie rausfahren und sich ansehen, was Sie gerettet haben.«
    Mein Bruder zog einen Stift aus der Tasche, um sich die Wegbeschreibung aufzuschreiben, aber der Deputy war zu erregt. Er nahm selbst einen Stift aus der Schublade und begann, eine Karte zu zeichnen.
    Die Finger des Mannes waren stumpf und dick, als wäre er mit den Fingerspitzen in der Wagentür hängen geblieben, aber er malte mit zierlichen Bewegungen, achtete sorgsam auf die Lage der Kreuzungen, die Breite der Straßen, den Uferverlauf des Flusses. Manchmal hielt er inne, um die Proportionen seiner Zeichnung zu begutachten, und machte sich dann wieder darüber her, schraffierte die eine oder andere Fläche und radierte hier einen Uferabschnitt weg, weil ihm eingefallen war, dass dort eine Halbinsel ins Wasser ragte. An die Straßen und ihre Kreuzungen schrieb er mit perfekten Druckbuchstaben die nähere Bezeichnung.
    Mein Bruder wartete stillschweigend darauf, dass er fertig wurde. Dem Mann machte seine Zeichnung Spaß, und Ward unterbrach ihn nicht, um ihm zu sagen, dass Druckbuchstaben oder schraffierte Flächen unnötig waren. Ein mit Fliegen übersäter Fliegenfänger hing vor den Fenstern von der Decke.
    Ich überlegte, was der Mann mit seinem Talent angefangen hätte, wenn er nicht im Büro des Sheriffs gelandet wäre. Es hätte einen anderen Mann aus ihm machen können.
    Damals schien es mir noch unmöglich, dass ich mich eines Tages fragen würde, was aus mir geworden wäre, wenn sich die Dinge anders entwickelt hätten. Ich nahm an, dass mir immer alle Wege offenstünden.
    Er lehnte sich zurück, betrachtete einen Augenblick lang seine Arbeit, freute sich daran und überreichte sie meinem Bruder.
    »Sollte man Sie fragen«, sagte er, »dann ist das nicht von hier.«
    Mein Bruder faltete das Blatt sorgfältig und gab damit zu verstehen, dass er die aufgewandte Arbeit respektierte. Er steckte den Zettel in die Hosentasche. »Ich weiß das zu schätzen«, sagte er.
    »Glauben Sie?« fragte der Deputy.
    Dann stand er auf und ging durch die offene Tür ins Hinterzimmer. Er war ein schwergewichtiger Mann, beim Gehen klebten die Falten der Hose an seinem Hintern.
    WIR HIELTEN UNS AN DIE KARTE . Sie führte uns in den Norden Latelys und dann nach Osten, auf einem Schotterweg durch ein dichtes Kiefernwäldchen. Je näher wir an den Fluss kamen, umso feuchter und dunkler wurde der Boden. Wir fuhren seit etwa zwanzig Minuten langsam durch einen Kiefernwald, da ich keine Lust hatte, in einer solchen Gegend mit einem Achsenbruch liegen zu bleiben.
    Der Weg mündete auf eine Lichtung, von wo aus wir den Fluss sehen konnten. Stellenweise brach die Sonne durch die Bäume auf der anderen Seite und spiegelte sich im Wasser. Ich hielt an. Einen Augenblick sah es aus, als wäre der

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