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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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Weg verschwunden, aber dann entdeckte ich im Dickicht eine alte Wagenspur.
    Hier war seit Langem niemand mehr vorbeigekommen.
    Wir saßen im Wagen am Rand der Lichtung. Mein Bruder nahm die Karte, breitete sie auf den Knien aus, studierte sie und blickte hin und wieder auf, um sich zu orientieren. Er legte den Finger auf eine schraffierte Stelle und den Fluss.
    »Wir sind hier«, sagte er.
    Ich sah auf die Karte und stellte fest, dass der Deputy den Weg bis zum Fluss und noch zwei oder drei Meilen weiter nördlich eingezeichnet hatte. Am Ende seiner Karte stand ein kleines Haus mit Spitzdach, umgeben von einem Zaun, und darunter stand in Druckbuchstaben
Van Wetter.
    »Da ist doch kein Weg mehr«, sagte ich. Ward studierte die Karte.
    »Wir könnten den Wagen abstellen und zu Fuß weiterlaufen«, sagte ich.
    »Wenn es hier einmal einen Weg gegeben hat, dann ist er auch noch da«, sagte er, also legte ich den ersten Gang ein und fuhr los. Vor uns im Unterholz tauchte ein Reh auf, warf den Kopf in den Nacken und schaute uns nach, wie wir in breiter Schneise das hohe Gras niederwalzten.
    Ich lenkte den Wagen geradeaus, bis wir in einer tiefen Furche landeten und das Chassis über den Boden schrammte. Der Motor verstummte, in der Stille hörte ich die Insekten summen.
    »Ist uns das Benzin ausgegangen?« fragte er.
    Ich drehte den Schlüssel, und der Motor orgelte. Ob Hillary Van Wetter den Wagen gehört hatte? Sollte das der Fall sein, dann wusste er bereits, wer zu ihm wollte.
    Der Motor sprang an, und der alte Ford schob sich rückwärts aus der Furche und zurück zur Lichtung.
    Vor uns standen Bäume, und ich fuhr zwischen ihnen hindurch, bis es nicht mehr weiterging.
    »Das war’s«, sagte ich, und Ward sah wieder auf die Karte, öffnete dann die Tür und stieg aus. Ich stellte den Motor ab und folgte ihm. In regelrechten Wellen strahlte die Motorhaube des alten Wagens Hitze aus, und irgendwo in der Nähe hing ein Wimmern in der Luft.
    Wards Blick wanderte zwischen Karte und Bäumen hin und her. Sie standen eng beieinander, einen Weg hatte es hier nie gegeben.
    »Er hat sich offenbar geirrt«, sagte ich.
    Ich ging um den Wagen herum, fühlte nach, wie heiß der Motor war, und ging einige Schritte in den Wald hinein. Das Wimmern kam näher, der Ton änderte sich. Im Schatten war es kühl. Ich ging tiefer in den Wald und wollte die Ursache für das Geräusch finden. Erst schien es von einer Stelle, dann aber von einer ganz anderen zu kommen. Ich setzte mich, lehnte mich an eine Kiefer und zog meine Socken hoch. Durch meine Hose spürte ich die kühle Erde. Ward ging langsam zwischen den Bäumen weiter, die Karte noch in der Hand.
    »Hiernach müssten wir …«
    »Er hat sich geirrt«, sagte ich.
    Er steckte die Karte in die Hosentasche, ging an mir vorbei, stolperte und blieb stehen, um den Schuh wieder über die Hacke zu ziehen. Er kaufte sich immer die gleichen spitzen, braunen Lederschuhe, die er bei jeder Gelegenheit trug. Ich habe ihn in solchen Schuhen schon Basketball spielen sehen.
    Er beugte sich vor, stützte sich mit einer Hand an einem Baum ab, um nicht zu fallen, und kümmerte sich um seinen Schuh. Dann gab es einen Knall, etwa so, als würde eine Glühbirne platzen, und er lag auf dem Boden.
    Ich stand auf, er setzte sich auf. Ein leichter Geruch nach Verbranntem hing in der Luft. Ward versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, fiel aber erneut hin. Wie ein Neugeborenes. Er schien nicht zu wissen, wo er war. Ich griff ihm unter die Arme und zog ihn auf die Füße.
    »Alles in Ordnung?« fragte ich.
    Er gab keine Antwort, sondern hatte alle Mühe stehen zu bleiben. Ihm war schon immer wichtig gewesen, auf eigenen Füßen zu stehen. Dann sah ich die weißen Isolatoren an den Bäumen und den dunklen, dünnen Draht, der zwischen ihnen gespannt war. Das Wimmern hatte aufgehört.
    »Ein Elektrozaun«, sagte ich, und er nickte, als würde er das begreifen, aber aus eigener Kraft noch nicht wieder stehen können. Als ich elf oder zwölf und mit meinem Vater auf Taubenjagd gewesen war, hatte ich schon mal einen elektrischen Zaun angefasst. Es war ein Gefühl, als hätte man mich angeschossen.
    »Offenbar will hier jemand Bären von seinem Grundstück fernhalten«, sagte ich.
    Langsam zog ich meinen Arm zurück, damit er allein stehen konnte. »Himmel«, sagte er.
    »Nein, ein Elektrozaun«, sagte ich.
    »Mir kam es vor, als würde ich in ein Loch gesaugt«, sagte er. Und er fuhr sich mit den Händen durch das

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