Paperboy
vorüber war.
Hinter dem Vorhang war wieder die Stimme des Mannes zu hören. »Jetzt such deine Hose und zieh sie an«, sagte er. Der Vorhang bewegte sich, und der Mann mit dem verbrannten Gesicht kam herein. Sein Gesicht war rot angelaufen und der Oberkörper nackt, Schweiß glänzte auf seinem Bauch. Er schaute uns an, dann sah er zu ihr hinüber. Ich spürte, dass er nach der Tracht Prügel scharf darauf war, die Frau zu vögeln.
»Ich heiße Ward James«, sagte mein Bruder. »Ich komme von der
Miami Times
…«
»Der Laden ist geschlossen«, sagte der Mann.
»Ich suche Tyree Van Wetter.«
Der Mann ging zur Tür, öffnete sie und wartete darauf, dass wir gingen. »Ich komme nicht vom Gericht«, sagte mein Bruder. »Es geht um Hillary.«
Der Mann nickte und wollte, dass wir verschwanden. Er sah kurz zu der Frau hinüber und schien ihr einen Vorwurf zu machen, dass wir im Laden waren. Mein Bruder wartete, rührte sich nicht, und schließlich schüttelte der Mann den Kopf.
»Sind nicht hier«, sagte er, »beide nicht.«
»Ich weiß, dass sie nicht hier sind«, sagte mein Bruder und blieb, wo er war.
In diesem Moment erinnerte ich mich an einen Nachmittag vor dem Paramount-Kino in Thorn. Ein Typ namens Roger Bowen, mit Schmalzlocke und einer Packung Zigaretten im Ärmel seines T-Shirts, tanzte dicht vor Wards Nase herum. Er fuchtelte mit den Armen, als wären sie Flügel, und gackerte dabei wie ein Huhn, und seine Freunde lachten. Ich zupfte meinen Bruder am Ärmel, aber Ward rührte sich nicht.
Roger Bowen starb im Jahr darauf, als er vor dem Zug die Bahnschienen überqueren wollte, und an jenem Nachmittag, an den ich mich erinnerte, war der Kinobesitzer irgendwann nach draußen gekommen, jagte ihn und seine Freunde fort und rief ihnen hinterher, sie seien Abschaum.
Vielleicht hatte er das aber auch nur getan, weil wir die Kinder von William Ward James waren und daher in gewisser Weise unter Artenschutz standen.
»Ich versuche, Tyree Van Wetter ausfindig zu machen«, sagte mein Bruder noch einmal.
Der Mann in der Tür schaute ihn sich genauer an und grinste dann, ein Grinsen, das Übles ahnen ließ. Er schüttelte den Kopf. »Der Laden ist geschlossen, habe ich gesagt.« Er klang nun freundlich, und ich wusste, dass er uns durch die Mangel drehen wollte.
»Wer könnte wissen, wo wir ihn finden?« fragte mein Bruder.
Der Mann schüttelte erneut den Kopf. »Tyree? Der hat überall Familie, flussaufwärts wie flussabwärts.«
»Sie gehören zu seiner Familie«, sagte mein Bruder.
Der Mann winkte ab. »Nicht derselbe Zweig«, sagte er. Dann wies er mit einem Kopfnicken auf die Frau hinter dem Tresen und sagte: »Sie ist eine von denen, hat in meine Familie eingeheiratet.« Für die Frau war es ein alter Witz, ein Witz, den sie nicht lustig fand.
»Jack, bitte …«
Er schaute kurz zu ihr hinüber, wirkte plötzlich wütend und schien dann ebenso rasch nachzugeben.
»Honeymoon Lane«, sagte er.
Mein Bruder ging an dem Mann vorbei aus dem Laden. Ich eilte ihm nach, und kaum war ich zur Tür heraus, hörte ich, wie innen ein Riegel vorgeschoben wurde.
Mein Bruder ging zum Auto, blieb in der Hitze sitzen, ohne ein Fenster zu öffnen, und dachte nach. Ich stellte die Klimaanlage an und schaute ihn fragend an: Wohin sollte ich fahren? Ward verharrte einen Augenblick reglos, starrte auf seine Hände und blickte dann zurück zum Laden.
Langsam ließ ich den Wagen vom Parkplatz rollen, und als ich auf der Straße wendete, sah ich wieder den Jungen, der, immer noch nackt, hinter dem Laden stand und etwas in der Hand hielt. Er holte in weitem Bogen aus, und im selben Augenblick konnte man erkennen, was er in der Hand hielt: eine Hose. Auf dem Scheitelpunkt des Bogens ließ er die Hose los, und sie segelte durch die Luft und landete auf dem Dach. Ein Hosenbein baumelte herab, als wollte es dem Rest der Hose hinterherklettern.
Einen Moment starrte er die Hose an, überzeugte sich davon, dass sie liegen blieb, drehte sich dann um, hockte sich hin und begann, mit bloßen Fäusten auf die Erde einzuschlagen.
»Die sollten ihn nicht so verprügeln«, sagte mein Bruder.
EINE MEILE NÖRDLICH VOM LADEN bogen wir nach Osten in einen ausgetrockneten Schotterweg ein, die Honeymoon Lane, wie auf einem Schild zu lesen stand, das von Schrotkugeln verbogen und durchlöchert worden war. Auf beiden Seiten des Weges wuchs Sumpfgras, und ein oder zwei Meilen weiter, wo der Boden langsam feucht wurde, standen lange Reihen von
Weitere Kostenlose Bücher