Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
Vom Netzwerk:
Bäumen. Insekten krabbelten über die Windschutzscheibe und versuchten, ins Auto zu gelangen.
    Honeymoon Lane lag vor uns wie das stürmische Meer. Der Weg hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen, an manchen Stellen sackte er so tief ab, dass der Wagen krachend aufsetzte. Ich fuhr langsam, aber dadurch wurde es auch nicht besser. Allmählich wurde ich seekrank.
    Ward sah aus dem Fenster.
    »Wenn hier draußen Menschen wohnen, dann nehmen sie nicht diesen Weg«, sagte ich.
    »Falls sie überhaupt irgendwohin fahren«, sagte er.
    Der Weg endete etwa zehn Meter vor einem Tümpel, von dem aus sich ein Pfad zwischen den Bäumen verlor. Die Bäume standen hier dichter beieinander, als es von der Straße aus den Anschein gehabt hatte. Der Pfad glich einem Tunnel.
    »Endstation«, sagte ich und stellte den Motor ab.
    Ward stieg aus und ging hinüber zu den Bäumen, ich folgte ihm. Hier war es schattig und kühl, Moos überzog die Stämme, die manchmal einen Umfang von acht bis zehn Fuß hatten. Sie wuchsen auf ausgewaschenem Grund, die Wurzeln waren deutlich zu sehen.
    Der Pfad führte abwärts, und zwischen den Bäumen stand Wasser. Warmes, braunes Flusswasser. An manchen Stellen wuchs Schilf, an anderen, tieferen Stellen wuchs kein Schilf mehr.
    Moskitos wirbelten in Wolken über das Wasser und ließen ein Summen von elektrisierender Wirkung ertönen, ein weit tieferer Klang als das Geräusch, das sie nahe am Ohr machen. Ich schlug nach einem Moskito in meinen Haaren, aber die Bewegung schien die anderen nur anzuziehen, und einen Augenblick später waren sie überall, selbst in meiner Nase und in meinem Mund.
    Wir gingen etwa hundert Schritt am Rand des Wassers entlang und bogen dann auf einem schmalen, erhöhten Streifen nach Osten ab, tiefer in den Wald hinein. Dann wandten wir uns auf einer Art Halbinsel wieder nach Norden. Die Erde fühlte sich weicher an, unsere Schuhe machten beim Gehen ein schmatzendes Geräusch. Das Auto war längst außer Sichtweite, und obwohl ich einen ziemlich guten Orientierungssinn habe, war ich mir nicht sicher, ob ich allein wieder zurückgefunden hätte.
    »Hier muss es irgendwo einen Bootssteg geben«, sagte Ward.
    Seine Stimme war klar und deutlich und schien aus dem Wald hinter mir zu kommen, obwohl er einige Schritte vor mir ging.
    Ich sah mich suchend nach dem Bootssteg um. »Wo?« Der Klang meiner eigenen Stimme erschreckte mich.
    Er starrte ohne zu antworten in den Wald. Offenbar versuchte er, sich den Verlauf des Ufers vom Fluss aus vorzustellen. Es war bestimmt zehn Jahre her, dass er mit einem Boot dort draußen gewesen war.
    Wenige Schritte weiter lag ein toter Baum quer über dem Pfad, das Wurzelwerk klammerte sich noch an die Erde, das andere Ende lag im Wasser. Eine Mokassinschlange, dick wie ein Unterarm, sonnte sich auf dem Baum dicht über dem Wasser und war kaum vom nassen, vor sich hin faulenden Stamm zu unterscheiden.
    Ohne sehen zu können, was sich auf der anderen Seite befand, stieg ich über den Stamm. Wieder blieb mein Bruder stehen. Vor ihm erstreckte sich ein etwa vierzig Meter breiter Wasserarm, und das Ufer dahinter stieg zu einer Insel an, die knapp einen Meter höher lag als die Stelle, an der wir standen.
    Während Ward reglos verharrte, sank er bis über die Knöchel im Schlamm ein.
    »Dort drüben ist ein Haus«, sagte er.
    Ich konnte kein Haus sehen, suchte dafür aber die Gegend nach Schlangen ab.
    »Woher willst du das wissen?« fragte ich. Am liebsten hätte ich kehrtgemacht und wäre zum Wagen zurückgegangen. Ich schlug auf meinen Arm und tötete zwei Mücken auf einmal. Die eine war voller Blut. Das klatschende Geräusch schien unter den Bäumen zu hängen und nicht entkommen zu können.
    »Was sollte das sonst sein?« fragte er.
    »Was sollte was sonst sein?«
    Er zeigte auf das Dickicht, und dann sah ich es, den dunklen, vertrauten Umriss, der im Gewirr der Äste kaum auszumachen war. Eine Fernsehantenne. Eine Krähe rief, und als ich wieder hinsah, war mein Bruder um weitere vier, fünf Zentimeter in den Schlamm eingesunken.
    »Du versinkst«, sagte ich.
    Er steckte bis auf die Knöchel im Schlamm und dachte über dieses Problem nach, dann zog er langsam seine Füße heraus. Er bekam sie auch frei, seine Füße, aber die Schuhe blieben im Sumpf stecken.
    Wasser füllte die Löcher, die seine Füße hinterlassen hatten, und als er sich bückte, um die Schuhe zu suchen, konnte er sie nicht finden. Braune Halbschuhe, verloren im

Weitere Kostenlose Bücher