Paperboy
wirst du nicht viel Glück haben«, sagte ich.
Ward nickte, öffnete dennoch die Tür und stieg aus. Ich hatte den Laden eigentlich nie wieder betreten wollen und blieb einen Moment sitzen, ehe ich ihm folgte.
Mein Bruder hob den Hammer auf und nahm ihn mit. Ich schloss den Wagen ab und sah Ward nach, wie er ins Haus ging.
Als ich hereinkam, stand Ward vor dem Tresen, den Hammer hatte er noch immer in der Hand. Hier drinnen war es dunkel und heiß, eine schwarze Spinne hockte in einem Glas mit Trockenfleisch, das neben der Kasse stand.
Eine Stimme ertönte aus dem Dunkel. »Wo ist deine Hose?« Eine Männerstimme, die Antwort blieb aus. »Ich hab dir ’ne Frage gestellt, Mister. Wo ist deine Hose?«
Keine Antwort. Mein Bruder sah sich die Regale an. Plätzchen, Bonbons, Mehl, Tabak, Zucker, Napfkuchen – alles ohne erkennbare Ordnung, offenbar so in die Regale gestapelt, wie es eintraf und wo immer Platz war.
Im Hintergrund ließ sich jetzt eine zweite Stimme vernehmen, die Stimme einer Frau. »Jack«, sagte sie, fast zärtlich, nur dieses eine Wort, und einen Moment lang glaubte ich, sie hätte mich gemeint.
Dann trat sie durch den Vorhang, die Frau mit der schönen Haut, und sah uns in ihrem Laden stehen. Im selben Augenblick hörte ich das klatschende Geräusch eines Riemens, der auf nackte Haut trifft.
»Wo ist deine Hose?« wiederholte der Mann wütend, und der Frage folgte ein weiterer Hieb, dann noch einer und noch einer.
Die Frau stellte sich an ihren Platz hinter dem Tresen und wartete, ausdruckslos. Mit keiner Miene gab sie zu erkennen, dass sie sich an mich erinnerte. Die Schläge im Hinterzimmer hörten nicht auf, und ich merkte, dass ich still mitzählte. Ich war bei zweiundzwanzig.
Ward legte den Hammer auf den hölzernen Tresen vor der Frau und lächelte.
Vierundzwanzig, fünfundzwanzig.
Das Kind weinte nicht.
»Der lag draußen«, sagte mein Bruder. Die Frau blickte den Hammer an, berührte ihn aber nicht. Die Schläge hörten nicht auf, doch außer dem Riemen, der auf den Körper des Jungen klatschte, und lauten Atemzügen, die von dem Mann zu kommen schienen, war kein Geräusch zu hören.
Einen Moment blieb es still, und mein Bruder sagte: »Ich würde gern wissen, ob Sie mir vielleicht sagen können, wie ich Tyree Van Wetter finden kann.«
Dann fing es wieder an. Ein leichtes Zittern erfasste ihre Unterlippe und war gleich darauf verschwunden. Mein Bruder zückte seine Brieftasche und suchte nach seiner Visitenkarte. »Ich heiße Ward James«, sagte er und legte die Karte auf den Tresen neben dem Hammer. Als sie nicht hinsah, schob er die Karte ein wenig näher zu ihr hinüber.
»Ich versuche jemanden zu finden, der mir bestätigen kann, wo Hillary Van Wetter sich an jenem Abend aufhielt, an dem er angeblich Sheriff Call umgebracht hat.«
Keine Antwort.
»Mr. Van Wetter hat mir erzählt«, sagte mein Bruder, »dass er bei seinem Onkel Tyree war.«
Vierzig Schläge, einundvierzig. Sie fielen jetzt langsamer, als wäre der Mann müde. »Er dürfte zwei Generationen älter sein als Sie«, sagte mein Bruder. »Ihr Großvater oder Ihr Großonkel …«
Zum zweiten Mal wurde es still, dann wieder die Schläge.
»Was wollen Sie?« fragte sie. Sie klang nicht unhöflich, aber sie wollte, dass wir gehen. »Sie müssen etwas kaufen, sonst können Sie nicht bleiben.« Sie warf einen Blick auf den Vorhang.
Mein Bruder griff nach einer Packung Camel und gab der Frau einen Dollar. Er war Nichtraucher.
Sie tippte sechzig Cents ein, und die Kasse klingelte genau in dem Moment, als der fünfzigste Schlag fiel. Die Frau blieb regungslos stehen, die Kasse offen, bis der nächste Schlag zu hören war und sein Widerhall sich verlor.
Sie suchte das Wechselgeld in der Kassenlade zusammen, die Münzen waren immer wahllos hineingeworfen worden.
»Ich habe Hillary gestern getroffen«, sagte mein Bruder.
Sie schien ihn nicht zu hören. Wieder fiel ein Schlag, und dann begann ein leises, anhaltendes Heulen irgendwo im Haus, man hätte nicht sagen können, wo, wurde lauter und änderte dabei die Tonhöhe, ein Wolfsheulen, bis es den Raum und jeden Einzelnen von uns erfüllte. Wieder erfasste ein Zittern die Unterlippe der Frau, doch diesmal blieb es nicht dabei. Auch ihr Kinn begann zu zittern, und dann sah ich, wie sich das Licht vom Fenster in ihren Augen sammelte. Sie weinte lautlos. Die Schläge hatten mit dem Heulen aufgehört, vierundfünfzig Schläge, und die Frau weinte, weil es endlich
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