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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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auf dem Boden zu seinen Füßen.
    Er trank Wein, die Flasche hatte er neben sich auf den Tisch gestellt. Ehe meine Mutter uns verließ, hatte er die Flasche in der Küche gelassen und war jedes Mal hin und her gegangen. Er saß beim Trinken nur ungern still, er hielt das für ein erstes Anzeichen von Alkoholismus und glaubte, aufzustehen und in die Küche zu gehen würde ihn davor bewahren. Er suchte immer nach Zeichen in Dingen, nie nach den Dingen selbst.
    »Du kommst spät«, sagte er und sah auf die Uhr.
    »Draußen auf dem Highway hat’s mächtig geknallt«, sagte ich.
    »Welche aus dem Ort?«
    »Nein«, sagte ich. »Motorradfahrer aus Orlando und Touristen.«
    Er ließ den Arm sinken und griff nach dem Glas, besah sich mein Gesicht, dann meine Arme. »Was machen die Stiche?«
    »Verbrennungen«, sagte ich. »Ist okay.«
    »Verbrennungen«, sagte er und schien über das Wort nachzusinnen. Die Flasche war fast leer, und der Alkohol zeigte seine Wirkung. »Hat’s wehgetan?«
    Ich schüttelte den Kopf, ging in die Küche und nahm mir ein Bier. Dann hörte ich, wie hinter mir die Tür aufging. Er kam herein und setzte sich schwerfällig an den Tisch. Glas und Flasche stellte er vor sich ab. »Muss eine schwierige Situation gewesen sein«, sagte er.
    Ich setzte mich zu ihm an den Tisch, es gab keinen anderen Platz. Ich wusste nicht, ob die Situation schwierig gewesen war oder nicht; das alles war bereits weit weg, wie eine Geschichte, die ich über jemand anderen gelesen hatte.
    »Wenn ich mich nicht irre«, sagte er, »sind Quallen um diese Jahreszeit in Florida nicht gerade selten.« Ich nahm einen Schluck Bier und nickte. »Man muss das Meer respektieren«, sagte er einen oder zwei Augenblicke später.
    Meines Wissens war mein Vater sein Leben lang nicht im Meer gewesen. Er liebte den Fluss. Als ich sechs oder sieben war, also bevor meine Mutter nach Kalifornien zog, durfte ich ihn mit dem Schlauch bespritzen, wenn er den Wagen gewaschen hatte, und das war die einzige Gelegenheit, bei der ich ihn nass gesehen hatte. Er starrte in sein Glas, ein schwarzer Fussel schwamm zwei Zentimeter unter der Oberfläche. Er nahm das Glas und trank trotzdem, und der Fussel hing an seiner Lippe, als er ausgetrunken hatte. Er sah auf die Uhr.
    »Bis in die Nacht arbeiten«, sagte er, »das macht dich fertig. Dann fängst du an, Fehler zu machen.«
    Mir schien, dass er wissen wollte, wie es meinem Bruder ging. »Ward lässt sich nicht so leicht unterkriegen wie andere«, sagte ich.
    Mein Vater lächelte und sah dabei aus wie ein alter Mann. »Alle werden sie fertiggemacht«, sagte er. »Manchmal nur deshalb, weil sie nicht wissen, wann sie aufhören müssen. Wie Rennpferde. Wenn denen keiner sagt, dass sie aufhören sollen, laufen sie sich zu Tode.«
    Irgendwie schien es möglich, dass Ward sich zu Tode laufen würde. Mein Vater schenkte sich nach und starrte einen Augenblick auf die Flasche, als schaue er verdutzt auf den verbleibenden Rest.
    »Oben in Jacksonville hat ein Hai angegriffen«, sagte er.
    AM MORGEN warf Yardley Acheman seinen Koffer und eine Kühlbox voll Bier in Charlottes VW-Bus, stieg ein und ließ sich nach Daytona Beach fahren, um den Golfplatz zu suchen, den Hillary und Tyree Van Wetter in der Nacht verwüstet hatten, in der Sheriff Call ermordet worden war.
    Seit Wochen hatte Yardley Acheman über Hitze, Langeweile und den Mangel an guten Restaurants in Moat County geklagt, doch als er den Ort hinter sich ließ, war ihm nicht anzumerken, dass er nun zufriedener war.
    Beim Einsteigen sagte er kein Wort, er schien Charlotte überhaupt nicht wahrzunehmen. Er machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem, setzte sich die Sonnenbrille auf die Nase und verschränkte die Arme über der Brust.
    Charlotte lächelte mir zu, legte den Gang ein und fuhr in die Morgensonne davon. Schwarzer Rauch quoll aus dem defekten Auspuff.
    EINE HALBE STUNDE verbrachte Ward an diesem Morgen damit, eine Flusskarte zu studieren, dann erst machten wir uns auf die Suche nach Onkel Tyree. Wir fuhren zu dem Laden am Highway, den ich den Winter und das ganze Frühjahr über jeden Morgen mit zehn Zeitungen beliefert hatte. Ein nacktes Kind spielte in der Auffahrt, beugte sich über etwas Glitzerndes, das im Dreck lag – vielleicht eine platt gefahrene Dose oder eine Glasscherbe –, und schlug mit einem Hammer darauf herum.
    Es sah auf, sobald es den Wagen hörte, und ließ den Hammer fallen. Als wir anhielten, rannte es ins Haus.
    »Hier

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