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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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Schlamm.
    Meine Gedanken wurden zu Treibsand.
    Ward tauchte den Arm bis zum Ellbogen in den Sumpf. »Da ist eine Art Sog«, sagte er, erhob sich wieder mit schwarzer Hand und schaute erst auf die weiche Erde, dann auf das Wasser. »Offenbar gibt es hier eine unterirdische Strömung.«
    Ich starrte ebenfalls ins Wasser, doch nichts rührte sich.
    »Weißt du, was ich glaube?« sagte er und sah sich immer noch um. »Ich glaube, die ganze Gegend ist unterirdisch komplett ausgewaschen.« Er schaute mich kurz an und lächelte. »Ich glaube, hier ist alles im Fluss.«
    Hinter mir hörte ich etwas ins Wasser fallen, drehte mich um und schaute auf den umgestürzten Baum, an dem wir vor wenigen Minuten vorbeigekommen waren. Die Mokassinschlange war verschwunden. Ward hob erst den einen, dann den anderen Fuß, zog die Socken aus, steckte sie sich in die Hosentaschen und begann, zur Insel hinüberzuwaten. Ich blickte lange prüfend ins Wasser, ehe ich meine eigenen Schuhe und Socken auszog, die Hose hochkrempelte und meinem Bruder folgte.
    Meine Zehen versanken im kalten, weichen Grund. Einige Schritte vor mir stand Ward hüfttief im Wasser. »Sinkst du ein, oder ist das Wasser bei dir tiefer?« fragte ich.
    Er blieb stehen, um einen Augenblick über meine Frage nachzudenken. »Schwer zu sagen«, antwortete er schließlich und ging dann weiter. Kurz darauf geriet ich in dasselbe Loch, der Schlamm war kälter, aber auch fester. Ward hatte das andere Ufer erreicht und zog sich an einem tief hängenden Ast an Land. Er strampelte heftig, hing halb aus dem Wasser, änderte aber das Kräfteverhältnis zu seinen Ungunsten, je weiter er sich hochzog. Seine Arme zitterten unter der Anstrengung, und ich erreichte ihn, kurz bevor er wieder hineinfiel, stemmte meine Hand unter seinen Hintern und schob ihn hoch.
    Ich selbst war dadurch allerdings noch tiefer eingesunken und bis zu den Knien mit Schlamm bedeckt, als ich mich an Land zog. Ich blieb, wo ich war, während auch Ward wieder zu Atem kam. Es erstaunte mich, dass er nicht kräftiger war – er hatte immer so kräftig gewirkt – und dass ihn die wenigen Augenblicke, die er zwischen Erdboden und Wasser hing, so ausgelaugt hatten. Ob er krank war?
    Der schmale, freie Fleck, auf dem wir standen, war nicht größer als eine Toilette und bot kaum Platz für uns beide. Richtung Inselinneres wuchs dichtes Unterholz. Ein Pfad war nicht zu sehen.
    »Es muss noch einen anderen Zugang geben«, sagte ich. »Vielleicht finden wir ihn auf dem Rückweg.«
    Er nickte und rang, die Hände auf den Knien, immer noch nach Atem. Mir fiel auf, dass die Mücken kein Interesse an meinen schlammbedeckten Beinen zeigten. Das Hemd klebte mir an der Haut. Ward sah blass aus, als er sich aufrichtete. »Willst du umkehren?« fragte ich.
    Ein Augenblick verging, ehe er antwortete: »Was hätte das für einen Sinn?«
    Und dann drehte er sich um, schob mit den Händen Gestrüpp und Zweige beiseite und bahnte sich langsam einen Weg.
    Er ging dabei ziemlich umständlich vor, und die Zweige schnellten aus unerwarteten Richtungen zu ihm zurück. Dann stolperte er und blieb stehen, um eine Schnittwunde an seinem Fuß zu untersuchen.
    Doch er kämpfte sich immer weiter durch das Gebüsch voran in Richtung Antenne. An einem abgebrochenen Ast blieb er mit dem Ärmel hängen und zerriss sich das Hemd. Als er sich umdrehte, um sich zu befreien, schlug ihm ein kleinerer Zweig ins Auge. Er hielt inne und presste die Hand aufs Auge, aber kaum nahm er sie wieder weg, schwoll es bereits an. Tränen rannen ihm über die Wange, als würde er weinen.
    Ich ging an ihm vorbei und übernahm die Führung, hielt die Äste fest, bis er drunter durch war, und achtete darauf, dass ihn nicht noch einmal etwas ins Auge traf. Es schien mir keineswegs unwahrscheinlich, dass ich ihn blind zum Auto zurückführen musste, und nach wenigen Minuten tränten ihm tatsächlich beide Augen. Kein Mensch war je so fehl am Platz wie Ward an diesem Ort, doch obwohl er auch noch zu niesen begann, drängte er stetig voran. Ich dachte mir, dass es völlig egal war, ob er sich gut hielt oder nicht, wichtig war nur, dass er es unbedingt hinter sich bringen wollte.
    Das, worin er gut war, entsprang einem Mangel an Talent. Um vorankommen zu können, musste er keine gute Figur abgeben.
    Einen Augenblick blieb er stehen und wischte sich die Augen mit dem Hemdzipfel trocken. Die Moskitos flogen von seinem Gesicht weg und kamen zurück, noch ehe er fertig war. Ich

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