Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
Vom Netzwerk:
das stimmte. Aber ebenso stimmte, dass er in Lately bleiben würde, wenn Ward blieb. Er konnte keine Story ohne den Mann schreiben, der ihn durch jene Abschnitte führen würde, die nachprüfbar waren. Yardley Acheman hatte kein Interesse an Fakten. Ein Nachteil für einen Journalisten, fürchte ich, auch wenn er selbst anderer Ansicht ist.
    Wer gewisse Dinge begreifen will, der muss mit tränenden Augen auf dem Hof liegen, mit einer heißen Kartoffel im Mund.
    Möglicherweise, dachte ich, muss man verletzt werden, ehe man überhaupt etwas begreift.
    »Ward will sich einige Details noch genauer ansehen, ehe er zurückfährt«, sagte ich.
    »Ich dachte, die Story sei so weit, dass sie geschrieben werden kann?«
    Mein Vater schenkte sich nach. »Ist sie nun so weit, oder ist sie es nicht?« fragte er.
    Ich hatte ihm nichts von dem Streit zwischen Ward und Yardley Acheman erzählt, auch nichts vom Besuch des Sonntagsredakteurs aus Miami. Ich dachte, Ward müsste ihm das selbst berichten, wenn er wollte, dass mein Vater darüber Bescheid wusste.
    Mit einem Schluck trank mein Vater das halbe Glas aus und entspannte sich. »Und? Was meinst du dazu?«
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich.
    »Zu dieser ganzen Sache«, sagte er. »Wie denkst du darüber? Du warst doch dabei.«
    »Ich denke nicht viel darüber nach.«
    »Immerhin besser, als einen Lieferwagen zu fahren.«
    Ich sagte: »Besser, als einen Lieferwagen zu beladen.«
    Und er schaute mich an und lächelte: »Jeder hat sein eigenes Tempo«, sagte er und musste offenbar daran denken, dass Ward nie von der University of Florida exmatrikuliert worden war. »So oder so tun wir das Nötige, wenn wir so weit sind.« Einen Augenblick schweiften seine Gedanken ab, dann schaute er mich an und lächelte wieder. Mit der letzten Flasche Wein war eine gewisse Ruhe über ihn gekommen. »Nimm nicht alles so ernst, Jack«, sagte er. »Dein Tag wird auch noch kommen.«
    Ich sagte: »Ich handle, wenn ich handeln muss«, und das brachte ihn zum Lachen, und ich stimmte in sein Lachen ein. Ich hatte auch einige Glas Wein getrunken.
    »Manchmal«, sagte er verträumt, als würde er sich an eine Geschichte erinnern, »kann man nur herausfinden, ob man bereit ist, wenn man im entscheidenden Moment merkt, dass man bereit ist.«
    Ich nahm mir noch ein Glas und spürte, wie auch ich ruhiger wurde. »Kann ich dir was sagen?« fragte ich.
    »Alles.«
    »Ich habe keinen Schimmer, wovon du redest.«
    Und da musste er wieder lachen. »Ich rede von dir«, sagte er. »Ich rede von dir.«
    Aber das tat er nicht.
    Er redete immer noch davon, Ward seine Zeitung zu überlassen.
    WIR FUHREN NACH DAYTONA BEACH , Ward, Charlotte und ich. Yardley blieb mit dem Sonntagsredakteur in Lately, um mit der Story zu beginnen. Ward hatte ihnen erzählt, dass er sich den Golfplatz ansehen wollte, plante aber eigentlich, Yardleys Bauunternehmer selbst ausfindig zu machen.
    Yardley Acheman lag natürlich daran, sich nicht in seinem Erzählfluss unterbrechen zu lassen, Ereignisse zu interpretieren und Heucheleien aufzudecken, wo immer er welche sah. Womit gesagt werden soll, es war keineswegs auszuschließen, dass er den Bauunternehmer niemals getroffen hatte, dass er gesehen hatte, was er sehen wollte, und dass der Rest frei erfunden war.
    WIR ÜBERNACHTETEN in einem Strandhotel. Mein Bruder und ich teilten uns ein Zimmer, Charlotte nahm sich ein eigenes. Noch eine Stunde nachdem Ward eingeschlafen war, lag ich wach und ruhelos da, stand schließlich auf, leise, um ihn nicht zu wecken, es war schon nach Mitternacht, und ging durch die Eingangshalle hinaus an den Strand. Vorbei an den Betrunkenen und den Liebespärchen. Beinahe stolperte ich über einen Jungen und ein Mädchen, die nackt und ineinander verschlungen auf einer Decke lagen.
    Sie umfasste seinen Hals, hielt ihn in sich und folgte mir mit ihrem Blick, als ich vorüberging.
    Eine offene Flasche Wein steckte im Sand.
    Ich schwamm hinaus ins Meer. Es war ruhig und endlos, und der Mond lag vor mir im Wasser. Ich schwamm lange, fühlte aber nie das vertraute Gewicht meiner Arme und Beine, das mir verraten hätte, wann ich müde wurde. Ich dachte an das Mädchen am Strand, wie es den Hals des Jungen im Dunkeln umschlang, seine Wange sich an sein Gesicht presste, wie es mir nachsah, während er immer wieder zustieß.
    Ich hätte gern jemanden gehabt, an dem ich mich festhalten konnte.
    Dann musste ich an meinen Bruder denken und daran, wie verschieden wir waren. Er

Weitere Kostenlose Bücher