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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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auf und ließ seinen Blick über uns schweifen. »Der eine rennt weg, der andere will nicht reden.« Er schaute Charlotte an und sagte: »Du kannst dich eine glückliche Frau nennen.«
    »Und du bist ein Arschloch«, sagte sie und trank aus. Und dann, als der Matrose zurück zu seinem Freund und dem Schwanzlutscher gegangen war, sah sie mich an und sagte: »Wo ist Hillary, wenn man ihn braucht?«
    ICH SAH NACH MEINEM BRUDER . Es lag mehr an dem, was Charlotte gesagt hatte, als an den Worten des Matrosen, dass ich mich plötzlich schämte und wusste, man hatte mir in aller Öffentlichkeit und vor ihren Augen etwas genommen.
    Ich ging an ihrem Tisch vorbei, streifte den Matrosen, der uns angesprochen hatte, aber der war mit dem dritten Mann beschäftigt und schien nicht zu merken, was ich tat. Er bat den Mann um Geld.
    »Komm schon, Freddie«, sagte er. »Du hast gesagt, wir könnten die Sau rauslassen.«
    Im Toilettenraum standen Männer und Frauen vor den Spiegeln, manche rauchten Marihuana. Eine Frau kniete in einer der Kabinen, ihre schuhlosen Füße und die Unterschenkel ragten unter der Tür durch. Die Strümpfe hatten Laufmaschen.
    In der Toilette war mehr los als an der Bar, und wärmer war es hier auch. Ich fand Ward am anderen Ende, wie er sich vor einem Spiegel das Haar kämmte, ein Anblick, den ich irgendwie amüsant fand.
    CHARLOTTE WAR MÜDE , und ich brachte sie auf ihr Zimmer. Wir sprachen beide kein Wort. Im Flur küsste sie mich auf die Wange, und ich ging auf das Zimmer, das Ward mir besorgt hatte. Mein Bruder blieb an der Bar und trank Cola mit Scotch.
    Ich lag im Bett, dachte an den Matrosen und stellte mir vor, wie ich aufstand und ihn im Schwitzkasten erwürgte. Ich überlegte, was Charlotte davon gehalten hätte, doch dann war mir klar: Sie hätte uns für Arschlöcher gehalten.
    Ich hätte ihn erwürgen können, ich war stärker als er. Das hatte ich selbst dann nicht vergessen, als ich vor Angst zitterte.
    Ich dachte an Ward und daran, wie schnell er gemerkt hatte, dass die Matrosen uns anstarrten. Welche Gedanken waren ihm durch den Kopf gegangen?
    Ich lag im Bett und dachte an meinen Bruder, der in Yardley Achemans Wagen mit hundertsechzig Sachen durch die Alligator Alley gerast war.
    CHARLOTTE HÄMMERTE AN DIE TÜR und riss mich aus dem Schlaf, einen Ton in der Stimme, den ich nie zuvor an ihr gehört hatte. Ich sprang in Unterhosen aus dem Bett, warf ein Bier auf dem Tisch um und suchte nach dem Lichtschalter.
    Ihr Hämmern ließ den Raum erzittern. »Jack!« rief sie. »Jack, steh auf!« Ein heiseres Flüstern.
    Ich öffnete die Tür, trat in die Bierpfütze, war einen Augenblick lang wieder gefangen zwischen zwei Welten und wusste nicht, welches die wahre Welt war.
    Licht flutete ins Zimmer. Sie trug ihren Frotteemantel und stand mitten im Lichtschein. Das Haar hatte sie nach hinten gekämmt und offenbar mit einem Gummiband zusammengebunden. Die Strähnen, die ihr über die Schultern fielen, waren zerzaust, wie ich es noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte, nicht einmal, als wir mit offenen Fenstern von Starke nach Hause gefahren waren. Sie roch nach Schlaf.
    Ich dachte, dass ihr der eigene Anblick wohl nicht gefallen würde, wenn sie jetzt ihre Puderdose aus der Handtasche nähme und sich im Spiegel betrachtete.
    »Irgendwas geht in Wards Zimmer vor«, sagte sie. Dann erst begriff ich und war hellwach. Die beiden Zimmer, die wir zuerst gemietet hatten, grenzten aneinander; das neue Zimmer – meines – lag am anderen Ende des Flurs. Ich rannte an ihr vorbei zur Tür.
    »Ich glaube, die wollen ihn umbringen!« rief sie mir nach, während sie versuchte, Schritt zu halten.
    »Wer?«
    »Die Matrosen«, sagte sie. »Ich glaube, es sind die Matrosen.«
    Ich stieß mit dem Fuß an ein Tablett mit schmutzigem Geschirr, das man für den Zimmerservice auf den Flur gestellt hatte, verteilte Gläser und Pommes frites über den Teppich. Ich rutschte aus, fiel beinahe hin, fing mich wieder und rannte weiter, so schnell ich konnte.
    Das Geräusch ihrer Schritte verlor sich hinter mir, verlor sich im Geräusch meiner eigenen Schritte, und dann merkte ich plötzlich, dass ich die Zimmer nicht voneinander unterscheiden konnte. Er war irgendwo in der Nähe der Lobby untergebracht, so viel wusste ich noch vom Abend zuvor, als ich in Badehose über den voll klimatisierten Flur spaziert war. Ich lief langsamer, musterte die Türen und dachte, ich könnte die Matrosen hören. Vor Angst zitternd blieb ich

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