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Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Titel: Paperweight: Literarische Snacks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Verrücktheit, Verkommenheit und Opulenz; alles Fanatische und Phantastische an den Vereinigten Staaten ergreift, entsetzt und elektrisiert. Ich kenne nur die dünnen Krusten beider Küsten; die großartige Fleischfüllung in der Mitte, das »wahre« Amerika, das Reagan wählte, das Nikaragua für eine gewalttätige Bedrohung seiner Sicherheit hielt und das der Meinung war, Senator McCarthy hätte doch echt recht – dieses Amerika kenne ich überhaupt nicht. Aber seinen Einfluß spüren wir alle.
    Ich hatte in der letzten Woche das Vergnügen, meinen siebenjährigen Neffen unterhalten zu dürfen, und war wirklich platt, als ich merkte, wie weit amerikanische Populärkultur seine Sprache und seinen Horizont durchdrungen hat. Eine überreichliche Portion Baked Beans wurde als
stark
etikettiert; die Aussicht auf vier Bernard-Matthews-Hühnerkeulen galt als
mega
, und bei einem Haufen amerikanischer Pommes frites zum Aufbacken tat er’s nicht unter
wild, cool
und
bad
. Das ist weder überraschend noch neu; den unaufhaltsam steigenden Einfluß Amerikas auf unsere Kultur in diesem Jahrhundert kann man mit dem unaufhaltsamen Aufstieg der Mittelklassen in diesem Jahrtausend vergleichen. Die Popularität von Bart Simpson, den Turtles, American Football und Baseballmützen ist nicht unbedingt größer als die Bewunderung in den zwanziger Jahren für Charleston, Glimmstengel, Bubiköpfe, Ragtime und Lillian Gish. Der überwältigende Erfolg der Beatles und der Rolling Stones in den Sechzigern lag nicht an ihrer heimatlichen musikalischen Originalität, sondern an ihrem Aufgehen in der amerikanischen Kultur, im Rhythm and Blues und Rock ’n’ Roll.
    Neu ist heutzutage jedoch, glaube ich, daß Amerika auch in der Provinz auf dem Vormarsch ist. Die städtische Amerikabegeisterung ist nachvollziehbar: Die Vereinigten Staaten haben das Stadtleben nach Dickens so gut wie erfunden. Die Discos und Kinos, die die Tanzsäle und Music Halls abgelöst haben, stammen aus Amerika, auch die Fast-Food-Ketten und Supermärkte, die den ABC-Teestuben und Kolonialwarenläden den Rang abgelaufen haben, sind amerikanischen Ursprungs. Das ländliche England dagegen, jener Teil unseres Vaterlands, der uns trotz der industriellen Revolution als Nation definierte und charakterisierte, schien immun zu sein. Unsere Städte mögen ihr eindeutig englisches Gepräge verloren haben, aber unsereProvinz fand bei keiner Nation auf Erden ihresgleichen.
    Schau, Fremder, auf dies Eiland jetzt. Ich wuchs in Norfolk auf, half bei der Ernte, war Meßdiener beim Abendmahl, krächzte im Kirchenchor und radelte um die Hecken. In den Sechzigern und frühen Siebzigern war ich ein Junge vom Lande, ein Bauernbursche, ein Corydon. Jetzt wohne ich wieder in Norfolk, sooft ich dem lockenden Ruf der Metropole widerstehen kann, und welch ein Wandel hat hier stattgefunden!
    Der ländliche Jugendliche von heute nimmt sich die Helden jener amerikanischen Fernsehserie
Ein Duke kommt selten allein
zum Vorbild. Seinen Wagen motzt er mit Firestone-Reifen auf, malt die Südstaatenflagge auf die Motorhaube und steht auf Beschleunigungsrennen mit frisierten Motoren wie irgendein amerikanischer Hinterwäldler. Daß es keinen spitzbäuchigen Sheriff mit Ray-Ban-Sonnenbrille gibt, der Tabak kaut und ihm die Ohren langzieht, wenn er aus der Reihe tanzt und einen Zahn zuviel drauf hat, muß für ihn und all die Jungs vom Lande East Anglia eine herbe und rätselhafte Enttäuschung sein.
    Die Geschäfte, die die Autobahnen säumen, stellen Totempfähle mit Mehrfachwegweisern für die Gartencenter, Tankstellen und Imbisse auf, die sich am Straßenrand tummeln. Norwich hat inzwischen ein Drive-In McDonald’s, und Autokinos gibt es auch.
    Wenn diese Beschreibung bitter, versnobt oder unwirsch klingt, war das nicht meine Absicht. Das ländliche East Anglia im herkömmlichen Sinne existiert nur noch in jenen kleinen Dörfern, die zu Landgütern gehören, oder in jenen Küstenregionen von North Norfolk oder Suffolk, die man geradezu Kensingtons by the Sea nennen kann und die von den Londonern für so dörflich und pittoresk gehalten werden, die hinausfahren, »wann immer wir Zeithaben«: Londoner wie ich, nehme ich an. Das kulturelle Vakuum, das die Industrialisierung der Landwirtschaft und die Zerstörung der Dorfgemeinschaften hinterlassen haben, wurde von der amerikanischen Kleinstadt gefüllt. Um Cassius’ Worte abzuwandeln – nicht durch die Schuld der
Stars and Stripes
, brutal gesagt,

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