Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
durch eigne Schuld nur sind wir so geschwächt.
Wer in Nestern auf dem Lande geboren wurde, dem kann man keinen Vorwurf machen, wenn er Idole, Archetypen und Helden sucht, die sein Verhalten rechtfertigen und bekräftigen. In der englischen Folklore findet man die nicht, kann sie aber sehr wohl täglich in Film und Fernsehen beobachten, die von der anderen Seite des Atlantik zu uns herüberschwappen. Wenn ich der Sohn eines Traktorfahrers aus Swaffham wäre, würde ich auch lieber einem wilden Südstaatenrebellen in einem alten Mustang nacheifern als einem unterwürfigen Bauerntölpel in einer zu engen Norfolkjacke.
Verzweifelt versuchen wir, das von uns so genannte ländliche England zu konservieren, so wie wir alte Dorfkirchen erhalten wollen. Aber eine Kirche besteht aus Gemeinde und Gottesdienst, so wie eine Schule aus Schülern und Lehrplan und eine Nation aus Land und Leuten. Wenn der Schuppen dem Aluminiumsilo gewichen ist und der
Barndance
in weniger als zwanzig Jahren dem
Country-Dance
, was wird in den nächsten zwanzig passieren? Volkstanzgruppen und Denkmalsschutzregeln können es jetzt auch nicht mehr retten.
»Ichabod«, wie das große Buch sagt, »die Herrlichkeit ist hinweg.«
Der Grammatik auf den Fersen
Der folgende Witz wird in der Weihnachtsmärchenzeit oft in Theatern in ganz Britannien gehört.
ERSTE HÄSSLICHE SCHWESTER: Immer wenn mir die Decke auf den Kopf fällt, kauf ’ ich mir ’n neuen Hut.
ZWEITE HÄSSLICHE SCHWESTER: So sehen die auch aus.
Das bringt vielleicht nicht gerade jeden dazu, vom Theatersessel zu rutschen und sich vor Lachen auf dem Boden zu wälzen, ist aber ein ganz passables Gaglein.
Immer wenn
mir
jedoch die Decke auf den Kopf fällt, kauf ’ ich mir neue Software. Ich überschütte meinen Computer mit einer Liebe und Treue, die die meisten Menschen ihren Haustieren, Autos oder Sammlungen erotischer Exlibris vorbehalten. Das letzte Konfekt, mit dem ich den abgestumpften Gaumen meiner Maschine in Versuchung zu führen probiert habe, ist ein ganz sonderbares Programm namens GRAM•MAT•IK TM Mac. Fragen Sie mich bitte nicht, wofür die Kugeln zwischen den Buchstaben stehen, ich nehme an, die Tmesis ist aus Gründen des Urheberrechts erforderlich, genauso wie die merkwürdige Trennung des Wortes »Grammatik«. »Mac« bezieht sich auf die Tatsache, daß mein Computer Macintosh heißt, aber nach der Apfelsorte so genannt wird, nicht nach dem Regenmantel gleichen Namens.
Sinn und Zweck von GRAM•MAT•IK TM Mac ist die Unterstützung des Autors beim Korrekturlesen seiner Skripte und Texte, für die er grammatische und stilistische Verbesserungsvorschläge erhält. Das vielleicht seltsamste Extra ist eine »Vergleichstabelle«, mit deren Hilfe die Ausdrucksweise des Benutzers an drei verschiedenen Prosastilen gemessen wird: Lincolns Ansprache in Gettysburg, Ernest Hemingways Kurzgeschichten und die Police einerLebensversicherung (Autor unbekannt). Der Verfasser erhält Punkte für Lesbarkeit, deren Skala von zwei beunruhigenden Kriterien namens Flesch-Kincaid-Stufenschema und Gunnings-Fog-Index bestimmt wird. Dem Verfasser wird außerdem mitgeteilt, welcher High-School-Klasse sein Schreibstil entspricht. Wie die meisten Briten habe ich keinen blassen Dunst vom amerikanischen Schulsystem und könnte einen Durchschnittswert nicht von einem Dritt-Trimester unterscheiden, und aus diesem Grunde weiß ich leider nicht, ob die Tatsache, daß mein Stil immer wieder den Wert »Stufe Elf« erreicht, gut oder schlecht ist. Vielleicht bedeutet sie, daß ich wie ein Elfjähriger schreibe, vielleicht bin ich auch Marcel Proust; ich bin froh, es nicht zu wissen.
Eben habe ich den bis hierher geschriebenen Text durch das Programm gejagt, weil ich wissen wollte, was der Computer von meinem heutigen Tagwerk hält. Leider muß ich gestehen, daß gleich der erste Satz dieses Artikels angefochten wurde. GRAM•MAT•IK TM Mac sediert den Gebrauch des Passivs. »Überarbeiten Sie u. U. den Satz, und benutzen Sie das Aktiv. Weitere Informationen mit der Hilfe-Funktion«, befahl es. Auch wurde mir aufgetragen, das Wort »Unterstützung« durch »Hilfe« zu ersetzen, das Wort »erreicht« durch »bekommt« und die Wendung »aus diesem Grunde« durch »deshalb«.
Auf der Flesch-Kincaid-Skala erreichte oder »bekam« ich eine 12, was leider heißt, daß meine Prosa »für die meisten Leser schwierig ist«. Andererseits schneiden Durchschnittswerte von 4,66 Buchstaben und 1,5 Silben
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