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Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Titel: Paperweight: Literarische Snacks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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einen der Vorteile seiner Erfindung bestimmt die Möglichkeit angeführt, daß dadurch eines Tages seltsame Menschen von der Straße geholt und an einem mit grünem Filz bespannten Tisch, auf dem lediglich ein Mikrophon steht, Unterschlupf bei anderen seltsamen Menschen finden werden. Das Radio hat, ähnlich den Londoner Clubs, die Funktion übernommen, den Verstörten und fehlgeleiteten Imperialisten eine Zufluchtsstätte zu bieten.
    Der seltsame Mann, den ich meine, war »Zeuge« in der Sendung
Der moralische Wirrwarr
auf Radio 4.
Meine
moralischen Bedürfnisse werden eigentlich immer von den
Archers
gedeckt, von der Ethik der Mineralwasserabfüllung bis zu den Pflichten des Schweinehütens, aber es gibt Menschen, die brauchen stärkeren Tobak, und für sie bietetdie Programmleitung
Der moralische Wirrwarr
an. Diese Woche beschäftigte man sich mit dem Thema Zensur. Der seltsame Mann durfte den Standpunkt vertreten, wir sollten definitiv nicht nur unsere künstlerischen Produkte wie Film und Fernsehen zensieren, sondern auch die Erzeugnisse unserer Journalisten. Welchen erdenklichen Nutzen solle es wohl haben, fragte er, Berichte von Gewalt und Aufruhr aus Ländern zu bringen, die am anderen Ende der Welt lägen? Seine Kinder hätten es nicht nötig, so etwas ausgesetzt zu werden.
    Zum Thema Film bemerkte er, der Wahnsinnige, der das Attentat auf Ronald Reagan verübt hatte, habe den Film
Taxi Driver
gesehen und in seiner Kleidung und Vorgehensweise dessen Helden Travis Bickle nachgeahmt. Und dann behauptete er, Michael Ryan habe Rambo imitiert, als er Hungerford terrorisierte. Wahrscheinlich wird mir jeder Cineast zustimmen, daß
Taxi Driver
ein hervorragender Film ist, einer der besten, die je gedreht worden sind, und daß
First Blood, Rambo
und
Rambo II
einfach abstoßend sind. Ob das zur Sache gehört, weiß ich nicht, den Zeugen kümmerte es jedenfalls nicht.
    Eine Sache, die nicht angesprochen wurde, uns aber allen wohlbekannt ist, ist die, daß sehr viele Massenmörder, weit mehr, als uns lieb sein kann, sich auf Motive berufen, die sorgfältiger Bibellektüre entspringen. Peter Sutcliffe und viele andere, die durch die Gegend zogen und die Straßen »säuberten«, die Welt von Sündern und Prostituierten befreiten, behaupteten, sie hätten Gottes Stimme und die Worte des heiligen Johannes aus der Offenbarung gehört. Ich habe noch nie gehört, daß jemand aus diesem Grund die Bibel verbieten wollte, das wäre auch ziemlich unvernünftig. Pervertierte Geister haben die Bibel in der Geschichte oft genug als Vorwand für Antisemitismus, Gewalt, Tyrannei und Folter benutzt. Ein verstörter Geistscheint
Taxi Driver
benutzt zu haben, um sich den Mordversuch an einem Staatsoberhaupt genehmigen zu lassen. Ich behaupte nicht,
Taxi Driver
sei eine ähnliche Kulturleistung wie die Bibel, das wäre Unsinn, aber das Prinzip bleibt das gleiche.
    Vielleicht ist die zunehmende Ausbildung auf Kosten der Bildung schuld, jedenfalls leiden wir an einer beachtlichen Abnahme im Verständnis für Fiktionen und das, was sie bedeuten. In einem gegenwärtig im West End gespielten Stück äußert sich eine Figur, die ihre Verteidigung gegen eine Klage vorbereitet, die eine Schauspielerin von der Royal Shakespeare Company gegen sie angestrengt hat, abfällig über ein nach ihrer Meinung typisches Publikum der RSC. »Wer geht zur RSC?« fragt sie. »Acht Reihen Schwuchteln mit Dauerabos und 1500 Schulkinder, denen Shakespeare bis Oberkante Unterlippe steht.« Die Kritik dieser Inszenierung in einer seriösen Zeitung fragte am Tag darauf: »Hält der Dramatiker das wirklich für ein Abbild der Zusammensetzung des Publikums in Stratford?« Genausogut könnte man fragen: »Hält Mr Shakespeare es wirklich für angemessen, wenn Leute ihre Ehefrauen einzig und allein aufgrund eines verlorenen Taschentuchs und ein paar geflüsterter Anspielungen umbringen?«
    Vielleicht entwickeln wir uns langsam zu einer Gesellschaft, in der auf literarischen Werken Warnungen angebracht werden müssen, wie sie jetzt auf Feuerzeugen, Taschenmessern und Plastiktüten stehen. Ich möchte also betonen, falls irgend jemand diesen Artikel zum Anlaß nimmt, die Hände in die Hosentaschen zu stecken, in der Öffentlichkeit zu rauchen oder halbstarkenmäßig herumzulümmeln, übernehme ich keinerlei Verantwortung. Falls dieser Artikel hingegen allen Krieg und alle Zwietracht endigt, nehme ich gern das Verdienst dafür in Anspruch.

Spaß mit Delphinen
     
    Was

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