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Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Titel: Paperweight: Literarische Snacks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Dinge mit Schwänen und Färsen, für die er aus sämtlichen Londoner Clubs ausgeschlossen würde – abgesehen vom Garrick oder vielleicht noch dem Naval and Military. Wir verdanken unsere Kultur einem Volk, das nach dem Motto lebte: »Eine Frau aus Notwendigkeit, einen Knaben zum Vergnügen, eine Ziege für die Ekstase.« Irgendwo in diesem berauschenden Spektrum wird auch Platz für Delphine, Ozelots und – bei passender Kleidung – Stachelschweine und Ameisenigel sein.
    Ich frage mich, was die Nachwelt für das schlimmere Verbrechen halten wird: das, was ein einzelner Mann einem Delphin anzutun versucht, oder das, was wir alle seit Jahren und erfolgreich der gesamten Spezies antun.

Meine selige Tante
     
    Finden Sie es nicht auch merkwürdig, wie eine ganze Nation in nur einer Generation ihre Gewohnheiten, ihre Eigenart und selbst ihre Lieblingskrankheiten ändern kann? Noch vor gar nicht langer Zeit trugen Männer Hüte und rauchten. Als wäre es vorgeschrieben. Schauen Sie sich nur öffentliche Versammlungen in alten Wochenschauen an, von Ascot bis zu Wahlveranstaltungen, und Sie werden mit Kopfgenüssen aller Art bedeckte Männer sehen, die, wo sie gehen und stehen, Zigaretten in den Händen halten. Über Kinos, Music Halls und Theatern lag unentwegt eine blaue Rauchwolke. Gute Nachrichten wurden von wildem Hochwerfen der Behutung begleitet; ich möchte nicht wissen, wie man in den Sekunden nach solch impulsivem Tun durcheinanderkrabbelte, um seinen eigenen Deckel zurückzubekommen. Hüte und Tabakwaren waren so allgegenwärtig, daß kein Komiker mit auch nur einem Quentchen Selbstachtung gewagt hätte, die Bühne zu betreten, wenn er nicht mit Hut und Fluppe umgehen konnte. W. C. Fields, ihrer aller Meister, konnte mit Kreissäge, Spazierstock und Zigarre Dinge anstellen, die einen daran erinnerten, was Mozart mit Viertelnoten, Versetzungszeichen und geborgten Violinschlüsseln zustande brachte.
    Ich hatte eine Großtante, die inzwischen leider das Zeitliche gesegnet hat und die ich so oft wie möglich besucht habe. Sobald ich ihre Schwelle übertrat, wies sie mir einen Sessel an und schob mir eine silberne Dose zu, die eine Handvoll Zigaretten mysteriösen Alters enthielt.
    »Nein danke, Tantchen, wirklich«, protestierte ich pausenlos.
    »Blech und Blödquatsch«, sagte sie dann, sie erinnerte einen immer etwas an David Copperfields Tante Betsy, »ich seh’ Männer gerne rauchen.« Also mußte ich jedesmaleinen ihrer unvorstellbar alten Glimmstengel nehmen und rauchen, während sie zusah und zufrieden nickte. Alles war, wie es sich gehörte: sie nippte an ihrem Sherry, ich rauchte. Sie selbst hat nie geraucht, und ich nehme an, daß es ihrer neunzig Jahre alten Lunge, wenn sie eine Meinung hätte äußern dürfen, lieber gewesen wäre, auch ich hätte davon abgesehen, Rauchschwaden in ihre Richtung zu pusten, aber nichts geht nun einmal über Konditionierung.
    Heutzutage läuft die Konditionierung in die umgekehrte Richtung. Im Theater ist das am offensichtlichsten. Es gibt zahllose Dramen, eigentlich alle zwischen 1900 und 1970 geschriebenen, in denen Zigaretten geraucht werden müssen. Der Dramatiker Noël Coward setzte, wie man argwöhnen muß, Zigaretten strategisch in bestimmten Augenblicken ein, um sich selbst als Schauspieler Trost und Komfort zu spenden.
    Nichts ist angenehmer im Leben, als in einer Salonkomödie aufzutreten. Die armen Hascherln, die in unseren großen subventionierten Ensembles arbeiten, müssen ohne die angemessenen Zigarettenpausen auftreten, auf abstrakten leeren Bühnen, in Leder und oft (mein ganz persönlicher Alptraum) mit nackten Armen. Dieser römische Gruß mit hochgerecktem Arm, den RSC-Schauspieler sich entbieten müssen, wenn sie auf die Bühne marschieren und drauflosplappern, daß des mächt’gen Caesar Macht im Norden wachse, ist der Grund dafür, daß ich mich immer vor den großen klassischen Rollen gedrückt habe. Das, und weil ich lose um mich rumgewickelte Stoffbahnen nicht ausstehen kann.
    Zurück zum Thema. Coward, Maugham, Rattigan, Orton, Pinter, Osborne, Gray und Stoppard haben ausnahmslos Zigaretten in ihre Stücke hineingeschrieben. Und was ist heute los, wenn ein Schauspieler sich auf der Bühne eine Zigarette ansteckt? In einer Pikosekunde, bevorder Rauch auch nur Gelegenheit gehabt hat, in die Lungen des Schauspielers hinabzureisen, geschweige denn in die Lungen eines anderen, bekommen die Leute haufenweise laute, mißbilligende Hustenanfälle;

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