Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
Sprinters, der heimlich vom geölten Blitz genascht hat, zur roten Linie hochschießen, wo es heißt »Gefahr. Überlastet. Verlassen Sie sofort das Gebäude«.
Dasselbe gilt natürlich für Glück. Wenn ich von einem exzentrischen Tycoon eine Milliarde Pfund erbte, als erster Bowler in die englische Cricketmannschaft berufen würde, eine neue Karikatur für meine Kolumne im ›Listener‹ bekäme, die Gelegenheit erhielte, als Stargast die Einweihungsfeier für ein mehrstöckiges Parkhaus in Nicholas Ridleys Hinterhof abzurunden, wäre ich naturgemäß verrückt, delirierend, grotesk glücklich. Aber auch nicht glücklicher als mit elf Jahren, als ich in einer alten Hose eineZehn-Shilling-Note entdeckte. Und bestimmt in keinem Zustand höherer Ekstase als an dem Tag, an dem mich meine Mutter im Alter von sechs Jahren (ich war sechs, nicht meine Mutter; sie war bedeutend älter) in
A Hard Day’s Night
mitnahm. Ich verfüge schlichtweg nicht über die Kapazität, größere Freude zu empfinden als die, die mich von innen her durchglühte, als Rolf Harris mir hinter der Bühne des Britannia Pier in Yarmouth ein Autogramm gab. Jeder simple Glückseligkeitsmesser könnte meine Behauptung stützen.
Aber wie steht es um diese Welt? Wenn ich über das Verlegen eines Herrenkniestrumpfs vor Zorn bebe oder mich vor Freude winde, wenn ein bärtiger Australier mir seinen Namen auf eine abgerissene Eintrittskarte schreibt, wie groß ist das Guthaben meines Gefühlskontos dann noch für völkermordende Ungerechtigkeit oder den Weltfrieden? Es ist wenig hilfreich, wenn man sich vorzustellen versucht, daß jene, die unter Folter und Grausamkeit und Armut leiden, sich genauso fühlen, als hätten sie eine Socke verloren, nur war es eben eine besonders schöne Socke, mit wunderschönen Ornamenten und einem attraktiven Hackeneinsatz, der sich gewaschen hatte. Das heißt,
ich
hab’ sie immer gewaschen; mit einem dieser modernen Waschpulver bei niedrigen Temperaturen und ein bißchen Weichspüler kam sie so schön aus der Maschine wie der schaumgeborene Adonis … was wollte ich sagen? Ach ja: Der Vergleich hinkt.
Muß ich also annehmen, daß mein Leben so verarmt ist, meine Existenz so schal und karg, mein Geist so hohl, oberflächlich und bar jedes Mitleids, daß das einzige Ereignis, das imstande ist, meinen Zorn zu erregen, der Verlust einer kleinen, fußförmigen Baumwollröhre ist? Das ist ja wirklich eine schreckliche Vorstellung. Wenn ich sie für zutreffend hielte, müßte ich alldem ein Ende setzen. Aberwas für einen Abschiedsbrief könnte man hinterlassen? »Mußte erkennen, daß mein Zorn auf die Socke ungerechtfertigt war und mir die Nutzlosigkeit meines Lebens vor Augen geführt hat. Sollte sie sich unter meinen Effekten finden, laßt sie bitte ausstopfen und aufstellen, und präsentiert sie der Nation als warnendes Beispiel.« Ist als Nachruf nicht so doll, oder?
Ich fürchte, ich muß meinen Kreditkarten-Versandkatalog konsultieren und mir einen … Socken-Caddy schicken lassen, »erhältlich in Managergrün und Sitzungssaalbordeaux. Mit persönlicher Note durch eine Ihrer Initialen. Zwei widerstandsfähige, wetterfeste, aufgerauhte Lederschubfächer garantieren Ihren Socken rund um die Uhr Vierundzwanzigstundenschutz.«
Aber stellen Sie sich vor, zum Anblick eines solchen Dings aufzuwachen. Ich würde sofort ausrasten.
Wimbledon-Horror
Irgendwo in England lebt der Depp, dessen akustische Graffiti (falls nicht ein philanthropischer Tontechniker sich dagegen entscheidet) die Aufzeichnungen des diesjährigen Finales im Wimbledoner Herren-Einzel auf ewig verderben. Dieser Vandale wurde während des stürmischen, unvorhersehbaren Verlaufs dieser hervorragenden Partie keine Sekunde müde, im absolut unpassendsten Moment »Come on, Stefan« zu grölen. Sein Verbalschmierantentum hetzte das gegnerische Geschrei von »Come on, Boris« auf, das dann wieder zu Variationen des Ausgangsthemas führte, bis es klang, als wären im einen Teil des Centre Court eine Million Aras losgelassen worden, die einen Strauß mit den vier Millionen verschiedenen Nymphensittichenund Kakadus ausfechten wollten, die im anderen Teil aufs grausigste vergewaltigt wurden. Die gackernden, faselnden, ungehobelten Hooligans aus der Londoner Gegend, die für dieses wüste, verrohte Geschrei verantwortlich waren, irren sich schrecklich, wenn sie meinen, daß a) dieses erotomane Gekreisch und pithekanthropoide Gebell ihrer hirnamputierten Fans
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