Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
Edberg irgendwie ansporne oder Becker beruhige, oder daß b) Zuschauer um den ganzen Globus herum einen Unterschied machen zwischen diesen Akten gellender Barbarei und der physisch weniger destruktiven, in der Öffentlichkeit aber stärker verurteilten Randale britischer Schlachtenbummler, die zweifellos auch diese grölenden Tennisbegeisterten selbstgefällig als »unserem guten Ruf im Ausland abträglich« verurteilen würden.
Paradoxe Tatsache ist: Je weiter ein Klischee verbreitet und akzeptiert ist, desto weniger ist es im allgemeinen in der Realität verankert. Das beste Beispiel dafür ist die in Ehren ergraute Lüge, alle Klischees enthielten ein Körnchen Wahrheit. Ich halte Klischees eher für den verzweifelten Versuch, eine Wahrheit zu erzeugen, indem man auf ihr besteht, ungefähr so, wie der Kneipenprahlhans mit seiner Schürzenjägerei protzt, die doch nur bloßlegt, daß er im Bett selbst mit dem Wagenheber keinen mehr hochkriegt. Schauen Sie sich die Klischees über Briten an. »Die Briten sind tolerant.« Puh. Welche andere, halbwegs entwickelte Demokratie kann eine so klägliche und trostlose Geschichte der Intoleranz vorweisen? Von der Einkerkerung und Verbrennung von Ketzern, Hexen und Wilddieben bis hin zur Zensur von Literatur, Kunst und Fernsehen: Von St Alban bis hin zu Wilde, Joyce und Lawrence können wir, glaube ich, voller Stolz einen genauso düsteren Katalog bigotter Unterdrückung vorweisen wie jede andere Nation auf Erden. Die vielgepriesene britische Naturverbundenheit?Wie geht es denn dem Grüngürtel um den sauren Regen anziehenden Mülleimer Europas herum? Wo sind denn die Hecken geblieben? Pimpernellen und Feuchtwiesen, die einst die Poeten aufjauchzen ließen? Wer vom großartigen englischen Frühstück spricht, wäre vielleicht erstaunt zu erfahren, daß Speck, Eier, Toast und Tee schon seit ewigen Zeiten in anderen Ländern konsumiert werden, ohne daß die an diesen Mahlzeiten Beteiligten gewahr wurden, daß sie etwas anderes als das großartige dänische Frühstück oder das großartige ruandische Frühstück oder das großartige neuseeländische Frühstück spachtelten. Wenn wir die Geschichte von Bärenhatz, Grubenponys und weihnachtlichem Welpenaussetzen wirklich und wahrhaftig als große Liebesaffaire der Briten mit Tieren bezeichnen wollen, dann sind jede normale Gottesanbeterin und ihr Gatte Romeo und Julia. Und dieses scheußliche, kreischende, bellende Höllengeheul, das alle Jahre wieder Wimbledon verdirbt, zeigt also, daß die Briten ungefähr soviel Sinn für Gerechtigkeit und Sportsgeist haben wie Hitler für schelmische Ausgelassenheit. Das beste Rechtswesen der Welt? Nun machen Sie mal halblang.
Doktor Johnson zu zitieren ist des Schurken letztes Mittel, ich werd’s mir also verkneifen. Ich hasse weder Britannien noch die Briten, aber wie irgendwer irgendwo mal sagte: »Ein Patriot liebt sein Land; ein Nationalist haßt alle anderen.« Wir hätten weit mehr Grund, dieses Land zu lieben, wenn solche herausposaunten Klischees der Wahrheit das Wasser reichen könnten.
Aber ich liebe dieses Land, wie Cordelia Lear liebte. All die Gonerils und Regans, die ihre riesige, allesumfassende, bedingungslose Liebe beteuern, tun offensichtlich das allerwenigste, um es zu einem Land zu machen, in dem man leben möchte. Unsere Toleranz in die Gegend zu brüllen, macht uns noch nicht tolerant: von keinerlei Kenntnis andererLänder belastet, zu behaupten, diese Institution oder jene Tradition in Britannien sei »die beste der Welt«, läßt uns bloß lächerlich aussehen. Leute anzuschreien, die Tennis zu spielen versuchen, macht Wimbledon für mich noch elender als das einzige Klischee über Britannien, das wirklich der Wahrheit das Wasser reichen kann – das Wetter.
Fuck sagen
Ich bin nicht sicher, ob Norris McWhirter den unglaublich klingenden britischen Rekord aller Zeiten, den ich gleich beanspruchen werde, nach der nötigen Bestätigung und Kontrolluntersuchung durch Roy Castle in sein
Guinness-Buch der Rekorde
aufnehmen möchte. Ich glaube – und bin grundsätzlich bereit, mich eines Besseren belehren zu lassen –, daß ich vor laufender Fernsehkamera das Wort »fuck« öfter in einem Rutsch gesagt habe als jeder andere meines Alters und Kampfgewichts im Königreich. Vielleicht hält McWhirter in seiner Eigenschaft als leuchtendes Vorbild jener für individuelle Freiheit eintretenden Organisation, in die er all seine unerschöpfliche Energie investiert, diesen
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