Papierkrieg
seiner Bürotür, draußen bekam ich noch ein »Auf Wiedersehen«
zu hören und kurz darauf stand ich wieder im traurigen Gang mit den schmutzigen
Olivgrüntönen und den flackernden Neonleuchten.
V
Draußen
war es immer noch so unfreundlich, wie es in den letzten Tagen gewesen war. Bis
vor dem Hotel Bristol der Ringwagen kam, war ich durchnässt und steif gefroren.
Endlich erbarmten sich die Wiener Linien und die Türen einer alten Garnitur
öffneten sich. Ich stieg die Treppen in die Tram hinein, und als die Sitzreihe
über dem Heizkörper frei wurde, machte ich zwei schnelle Schritte und ließ mich
auf der wohlig warmen Holzbank nieder. Bis der Wagen vor der Universität an der
Station Schottentor hielt, war ich zweimal eingenickt.
Schläfrig, mit brennenden Augen und Ohrenrauschen kam ich oben im
Institut an, wo mir Frau Nettig einen Umschlag mit der Bemerkung
»Fahrradkurier« in die Hand drückte. Ich sperrte mein Büro auf und warf den
Umschlag auf den Schreibtisch. Dann versuchte ich, die Heizung in Gang zu
kriegen, was nicht ging, denn sie war bereits aufgedreht. Ich befühlte den
Heizkörper unter dem Fensterbrett. Er war eiskalt. Der Universität war offenbar
von Wien Energie das Gas abgedreht worden. Fein, meine Institution war genauso
bankrott wie ich. Wenigstens hatte ich eine Decke im Schrank, über die Akten
der Lausanner Pindar-Tagung 1952 gebreitet. Offiziell schützt sie die wichtigen
Dokumente vor Staub, aber eigentlich wärmt sie mich an eisigen Wintertagen.
Als ich meinen nassen Mantel an einen Haken
gehängt hatte, setzte ich mich in den Stuhl, legte die Füße auf den Tisch und
deckte mich zu. Während ich mein Handy herausholte und Freds SMS durchlas,
fielen mir immer wieder die Augen zu. Endlich hatte ich die wenigen Zeilen
gelesen, dann stellte ich mir den Wecker und versank in einen schwarzen,
traumlosen Schacht.
Während ich fiel, hoffte ich, dass sich der Schacht als bodenlos
herausstellen würde. Ich wollte ewig schlafen. Doch wie alle Wünsche zerplatzte
auch dieser, der Schacht war nicht bodenlos. Er hatte einen Grund. Der war aus
Granit. Auf dem Granit lag mein Handy und es klingelte. Ich fuhr hoch, das
Handy fiel zu Boden, mir war schwindlig, mein Zahnfleisch brannte und irgendwie
hatte ich einen toten Hund auf der Zunge. Der Hund war schon lange tot und wenn
es keiner war, wollte ich nicht wissen, was es sonst hätte sein können. Ich
griff zum Samowar, goss mir aus der kalten Teekanne ein und blinzelte. Ich
probierte. Der Tee war alter, überstarker Assam. Meine Zunge wurde pelzig,
meine Schleimhäute runzlig, es wurde mir ein bisschen schlecht, aber ich wurde
wach. Der Schlaf lag mir wie Blei um den Hals. Währenddessen ich so mit mir
rang, läutete das Handy unentwegt weiter. Je länger es läutete, umso lauter
wurde es. Anscheinend war ich allein im Haus, denn sonst hätten schon ein paar
freundliche Kollegen nach mir gesehen.
Endlich war ich halbwegs wach, sodass ich mich bücken konnte, das
Handy aufnahm und ausschaltete. Es war wieder still.
Ich kämpfte fünf weitere Minuten mit dem Schlaf, dann war ich
soweit, dass ich aufs WC wanken und mich dort frisch machen konnte. Erst beim
Gehen fiel mir auf, dass ich steif war wie ein Brett. Ich konnte mich kaum
bewegen.
Der Waschspiegel enthüllte mir auch, wieso dem so war. Meine ganze
linke Hals- und Schulterpartie war ein einziger blauer Fleck, allerdings von
dunkelrotschwarzer Färbung. Der Schlag musste auch meine Wirbelsäule in
Mitleidenschaft gezogen haben, denn die Schmerzen pulsierten zwischen den Hals-
und Rückenwirbeln hin und her wie die Pingpongbälle von Forrest Gump.
Meine Stirn, mit der ich Augenbraues Nase zermantscht hatte, war
leicht geschwollen, und der dazu passende Bluterguss hatte es irgendwie
geschafft, innerhalb von 13 Stunden auf mein rechtes Lid zu sickern. Es war
kohlrabenschwarz. Wenn ich es schloss, sah ich aus wie ein Pirat mit
Augenklappe. Außerdem hatte ich tiefblaue Augenringe. Das Schlimmste aber waren
die Schmerzen hinter der Stirn. Mit meinem Kopfstoß hatte ich mir
offensichtlich eine leichte Gehirnerschütterung zugezogen. Mein einziger Trost
war, dass Augenbraue in diesem Moment noch mehr leiden würde als ich.
Ich holte meine Zahnbürste heraus und begann
mit der Mundhygiene. Da ich die Kiefer nur einen Spalt weit öffnen konnte, kam
es einer Tortur gleich. Rasierzeug hatte ich keines dabei, deswegen ließ ich
mir die
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