Papierkrieg
befand sich ein Fenster, so in fast drei Metern Höhe. Es klebte unter der Decke
wie ein Schwalbennest. Die Scheibe bestand aus dickem Milchglas, sodass
unmöglich zu sagen war, was sich dahinter auftat. Die Zelle war weiß gestrichen
und mit einem graugrünen Linoleumboden ausgestattet. Die Farbe des Fußbodens
war genau auf die Schimmelflecken an Decke und Wand abgestimmt. Es hätte
richtig heimelig sein können, wäre es nicht so nass und kalt gewesen.
Die Zeit verging ausgesprochen langsam. Was eigentlich gar nicht
stimmt, denn ich hatte keinen Anhaltspunkt, um überhaupt auf ein Vergehen der
Zeit schließen zu dürfen. Soweit es mich betraf, hätte sie auch durchaus still
stehen können. Nicht einmal das bisschen Licht, das durch das winzige Fenster
unter der Decke eindrang, veränderte sich, obwohl es schon lange Nacht sein musste.
Ganz so schlimm, wie sich das anhört, war es
aber gar nicht für mich. Schopenhauer hat einmal trefflich formuliert, dass die
Einsamkeit dem wahrhaft Begabten nur Gelegenheit gibt, um sich an seinen
inneren Reichtümern zu weiden. Arm sind die Tröpfe im Purpur der Welt, die so
nur die eigene Leere erfahren.
Da ich mich durchaus in der Gruppe der Begabten sehe, galt es
somit, mich mit mir selbst zu beschäftigen. Also vertrieb ich mir die Zeit mit
Zweierlei.
Zuerst erinnerte ich mich an eine Übung aus dem tantrischen
Buddhismus Tibets, bei der ein Adept sich darin zu beweisen hatte, dass er so
lang wie möglich eine weiße Wand anstarrte. Es brauchte ein paar Anläufe, bis
ich den Dreh raushatte, dann war es aber ganz unterhaltsam.
Irgendwann ließ meine Konzentration nach, müde
aber war ich noch nicht. Von der weißen Wand hatte ich genug, also begann ich
damit, die Ilias zu rezitieren. Mit 15 etwa hatte ich in zehn langen Wochen
Sommerferien diese mnemotechnische Extraleistung geschafft. Natürlich war ein
Mädchen und mit diesem ein gebrochenes Herz für die Kraftanstrengung
erforderlich. Nur um die Dimension meines Herzeleides anzudeuten, sei gesagt,
dass ich sie damals auf Griechisch lernte, ohne mehr als nur eine Handvoll
grammatischer Formen und vielleicht zehn Dutzend Vokabeln zu kennen.
Letztendlich hatte ich es aber geschafft. Nun kam mir diese Liebeskur zugute
und ich unterhielt mich königlich damit, das Heldenepos herzusagen. Was nicht
unwesentlich zu meiner Unterhaltung beitrug, war die Tatsache, dass ich in
meiner damaligen Unwissenheit etliche Fehler gelernt hatte, die mir nun sofort
ins Auge stachen. Ein paar Stellen verursachten mir Schwierigkeiten, und ich
musste länger graben, um sie wiederzufinden, aber alles in allem ging es recht
gut.
Ein paar Stunden später, gemessen an der Zeit,
die so eine Rezitation braucht, befand ich mich am Ende des vierten Gesangs.
Obwohl es mitten in der Nacht sein musste, brannte das flackernde Neonlicht
immer noch nervenzermürbend über mir. Während der Rezitation war ich unablässig
in meinem Gefängnis auf und ab marschiert. Jeweils drei Schritte in eine
Richtung, da die Diagonale weder durch Klo, Bett noch Waschbecken verstellt
war. Ich war nun nach meinem Spaziergang rechtschaffen müde und legte mich aufs
Ohr. Zur Ehrenrettung der Wiener Polizei sei gesagt, dass wenigstens die
Bettdecke sauber war. Also deckte ich mich zu und schlief ein.
Irgendwann erwachte ich. Das Licht über mir
zuckte noch immer, die Milchglasscheibe verriet noch immer nicht, was für eine
Tageszeit gerade herrschte, und ich war durstig. Nachdem ich am Wasserhahn
getrunken hatte, ging es mir besser. Kurz wollte ich noch einmal meine Ausreden
durchgehen, um für ein anstehendes Verhör gerüstet zu sein, aber ich ließ es.
Schließlich hatte ich die ganze letzte Woche an nichts anderes gedacht. Für ein
paar Improvisationen musste das reichen. Die tantrische Konzentrationsübung
interessierte mich mehr.
Ich setzte mich auf den Boden, vor eine Wandstelle, deren Anstrich
weder durch Spuren menschlicher Existenz noch durch Schimmel entstellt war, und
versenkte mich in die weiße Leere.
Es begann gerade wieder Spaß zu machen, als die Tür aufging. Zwei
Beamte kamen herein, rissen mich an der Schulter hoch, schnallten mir wieder
die Arme auf den Rücken und hinauf ging es, in das Büro von Katze und Fuchs.
Im Büro schien eine helle Vormittagssonne durch die verdreckten
Fensterscheiben herein. Die beiden tranken dampfenden Kaffee und aßen
Briochekipferln dazu. Unnötig zu sagen, dass die
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