Papierkrieg
vermutlich auch auf einen
Wink von ihm hin aus dem Fenster zu springen bereit gewesen wären. Wenn ich’s
nicht schon gewusst hätte, hätte mir das einiges über ihn und seine
Organisation verraten.
30 Sekunden später hielten wir beide wohlgefüllte Teegläser mit
Untertassen aus Porzellan, auf denen zwei Stück Würfelzucker lagen, in den
Händen. Er ließ beide Zuckerstückchen in sein Teeglas fallen und rührte um. Ich
nahm eines, tauchte es vorsichtig in die heiße Flüssigkeit und schob es mir in
den Mund, wo ich es in meiner rechten Backe verstaute wie ein Hamster. Dann
nahm ich den ersten Schluck. Ein Blitz der Erkenntnis huschte über sein
Gesicht. »Sie waren schon mal im Iran?«
»So wie Sie anscheinend auch.«
Wir grinsten uns an. Mein Trick hatte funktioniert.
Gemeinsamkeiten verbinden. Auch Gangster und Philologen. Aber nur dann, wenn
besagte Philologen noch nie im Iran waren, dafür aber in ihrem Leben schon
einige Bücher gelesen hatten.
»Ich glaube weder, dass Sie wissen, wo sich der Papyrus befindet,
noch dass Sie ihn in Ihrem Besitz haben. Übrigens, sagt man ›der‹ oder ›das‹
Papyrus?«
»Ist beides möglich.«
»Aber was ich glaube, ist, dass Sie uns helfen können, unser
Eigentum zurückzuerhalten, mit einem Minimum an Aufwand und wesentlich unauffälliger,
als wir das alleine regeln könnten.«
»Und was schaut da für mich dabei heraus?«
»Sie meinen, abgesehen davon, dass Sie intakt, mit allen
Extremitäten und Genitalien, überleben?«
»Genau. Das Leben ist sowieso eine Qual. Da müssen Sie schon noch
was drauflegen.«
»Wie ich höre, haben Sie im Zuge Ihrer Unternehmungen einen alten
Freund und ehemaligen Geschäftspartner, mit dem nicht zu spaßen ist, verärgert.
Da könnten wir Ihnen durchaus behilflich sein.«
»Klingt gut. Aber was mir mehr am Herzen liegt, sind Antworten auf
ein paar Fragen.«
»Sie werden verstehen, dass wir nicht mit allem, was wir haben,
von vornherein herausrücken können. Wo bliebe denn da die Motivation für Sie,
Ihren Beitrag zu leisten. Motivation ist der Schlüssel zur Leistung und das Herz
modernen Managements.«
»Sie hören sich an wie ein Strategieberater für Großkonzerne.«
»Was ist denn die Interessenvertretung, die ich repräsentiere,
anderes als ein global agierender Konzern? Wir geben Leuten Arbeit und somit
die Möglichkeit, sich ihre Brötchen zu verdienen, wir sorgen für die Sicherheit
unserer loyalen Mitarbeiter. Solange es nur irgend möglich ist, befolgen wir
die Gesetze und zahlen Steuern.«
»Jetzt klingen Sie aber fast wie der Weihnachtsmann, respektive
der Osterhase.«
Schlagartig verdunkelte sich seine Miene.
»Lassen Sie es gut sein, Herr Doktor, Sie verspielen sonst noch Ihren Kredit.«
»Nüchtern betrachtet macht Ihr zweiter Anlauf auch nicht mehr Sinn
als der erste. Ich bekomme, was ich will, wenn ich erledige, was Sie wollen. Da
ich aber das, was ich von Ihnen will, brauche, um dasjenige zu erledigen, das
Sie von mir wollen, haben wir uns schon wieder in einem viziösen Zirkel
verfangen. «
»Na gut, lassen Sie hören. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich
Ihre Frage auch beantworten kann.«
»Was hat es mit der Knarre auf sich, wofür haben Sie die
gebraucht? Ich nehme nicht an, dass Sie sie nach Fingerabdrücken untersucht
haben.«
»Haben wir auch nicht.«
»Für ballistische Untersuchungen wohl auch nicht?«
»Nein, keineswegs. Ich sehe aber nicht ein, inwieweit Ihre Fragen
mit unserem Papyrus und seinem Verbleib in Zusammenhang stehen.«
»Es reicht auch, wenn ich das tue. Eine zweite Frage noch.
Erzählen Sie mir ein bisschen was über das Fragment und seine Geschichte.«
»Da sind doch Sie der Spezialist.«
»Ich will ja auch nichts über die antiken und mediävistischen
Verwicklungen erfahren, in die das Schriftstück involviert war. Ein Überblick
über die letzten 100 Jahre würde mir vollkommen reichen.«
»Was vor der Oktoberrevolution mit dem Papyrus los war, davon
haben wir keine Kenntnis. Sicher ist, dass es irgendwann nach dem Bürgerkrieg
in den erweiterten Beständen der Eremitage auftauchte. Ob es irgendwann ein
Geschenk an die Romanows war oder ein Teil der Beute bei einem Feldzug gegen
das Osmanische Reich, oder ob es ein bibliophiler Adeliger in irgendeinem
Hinterzimmer in Konstantinopel entdeckt hat, lässt sich nicht sagen. Fest steht
nur, dass es eben Anfang der 20er-Jahre in der Eremitage zum Vorschein kam.
Warum es
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