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Papilio Mariposa

Papilio Mariposa

Titel: Papilio Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Levett
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etwa nicht erkannt?
Auch dann war’s tierische Grausamkeit und Blutdurst.
Und ein solches Wesen soll ich der menschlichen Gemeinschaft
wiedergeben?
    Wir machten uns auf den Weg, und ich bat den Professor,
mir zu sagen, was geschehen sei, warum er mich
abermals hierhergerufen habe. Er überhörte scheinbar
meine Frage und fragte zurück, mit belegter Stimme:
»Ja, was ich sagen wollte, haben Sie nichts von Ihrer
Freundin gehört?«
    »Das wollte ich Sie fragen, Herr Professor«, erwiderte
ich, von einer bösen Ahnung erfaßt. »Sagen Sie,
was ist los? Was ist da geschehen? Wo ist sie? Sprechen
Sie, um Gottes willen!«
    Er blieb stehen, hüstelte beklommen und trocknete
die schweißbedeckte Stirn.
    »Fassen Sie sich, lieber Freund, und vergeben Sie
mir, wenn ich Ihnen böse Nachricht bringe . . . Heute
früh hat man sie im Wald gefunden.«
    »Wie gefunden . . .? Lebt sie?« keuchte ich.
    Er faßte meine Hand, blickte zu Boden und schwieg.
    Nun wußte ich genug.
    »Wo ist sie?« fragte ich tonlos.
    »In einem Schuppen hinter dem Wirtshaus hat man
sie aufgebahrt.«
    Ohne Antwort stürzte ich davon.
    Ich fand sie.
    Ihre Kleider waren zerrissen und von Straßenkot beschmutzt.
In ihrer Kehle klaffte eine fürchterliche
Wunde, wie von einem Biß.
    Ich habe schon viel Furchtbares erlebt. Die Wut der
Elemente und die Raserei der Menschen. Springfluten
und Tropenstürme habe ich gesehen, Verurteilte, die
zum Tode gingen, und die Hölle der Isonzoschlachten
mußte ich durchleben. Und war gleichmütig geblieben.
Aber das hier ging über meine Kräfte.
    Ich brach zusammen.

    D ie ganze Nacht verweilte
ich am Lager der Toten, am Grabe meiner Lebensfreude.
Wortlos, tränenlos.
    Als mich der Professor aus meiner Erstarrung
weckte, drang Sonnenschein durchs Tor der Scheune.
    Ich durfte nicht länger untätig bleiben. WeitererSchaden, weitere Gewalttat mußte verhütet werden.
Nun mußte die Behörde sprechen.
    Ich war entschlossen, nach Graz zu fahren, um die
Staatsanwaltschaft zu verständigen.
    Nur mit Widerstreben folgte der Professor.
    »Lieber Freund«, sagte er, »Sie folgen noch Ihrem
ersten Schmerze. Sie haben sich noch nicht zur Klarheit
durchgerungen, Sie wollen Rache üben, nicht helfen.
    Was hat die Staatsanwaltschaft mit all dem zu tun?
Nein, hier kann nur verstehende Menschlichkeit, hilfsbereite
Wissenschaft nützen.
    Ich habe nun einmal eine Idiosynkrasie gegen
Staatsanwälte. Sagen Sie selbst, welcher anständige
oder zumindest welcher gute Mensch wird denn Staatsanwalt?
Das sind Leute, die allerdings nichts Böses tun,
aus Furcht vor dem Gesetze, aber auch nicht das geringste
Gute. Mir ist ein Fuchs, ein Wolf, der in naturgewollter
Freiheit seiner Nahrungssuche nachgeht, tausendmal
lieber als ein böser Kettenhund.
    Und daß wir selber die Ordnungsbestien zu Hilfe
rufen, um ein Wunderwerk zu zerstören, um die Großtat
eines Genies, das an der Tragik seines ungeheuren
Strebens zerschellt, mit täppischer Faust zu zertrümmern
— nein, das greift mir ans Herz.«
    »Herr Professor, sosehr ich die Wärme Ihrer Worte
respektiere, aber zu solchen Betrachtungen ist jetzt
wirklich nicht die Zeit. Wir haben die Wahl: die Ordnung
und Sicherheit der Gesellschaft oder das wissenschaftliche
Experiment, der Riesenfalter. Die Gesellschaft
muß sich schützen. Mit welchen Mitteln sie es
tut, das haben nicht wir zu entscheiden, sondern die
berufenen Organe der Gesellschaft. Selbstverständlichwird man trachten, den Schmetterling nicht zu verletzen
oder gar zu töten, sondern ihn lebend zu fangen.
Glauben Sie übrigens, daß mir dieser Weg so leicht
fällt? Aber es muß sein.«
    In Graz angelangt, begab ich mich sogleich zum Chef
der Staatsanwaltschaft. An der Türe las ich: Hofrat
und Erster Staatsanwalt Doktor Arlecker. Ich erinnerte
mich dunkel. In der Kriegszeit hatte ich einmal mit
ihm zu tun: geschmeidig nach oben, nach unten brutal.
    Er empfing mich mit jener distanzierenden, spezifisch
staatsanwaltschaftlichen Reserviertheit, welche
alle Angehörigen der Gattung Mensch, sofern sie nicht
zur Species Staatsanwalt gehören, einteilt in solche, die
schon abgestraft, und solche, die es derzeit noch nicht
sind.
    Ich setzte ihm den Fall auseinander. In demselben
Maße, als ich in der Erzählung fortschritt, wurden
seine Züge quälend freundlich, süßlich beschwichtigend;
er retirierte sachte, aber ständig gegen die andere
Ecke des Schreibtisches und näherte seine Linke wie
absichtslos spielerisch dem Glockentaster.
    »Keine

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