Papillon
dem Kurzschluß etwas falsch machen, und dann zahle ich nichts, denn ohne Kurzschluß kann ich nicht weg.«
»Na gut.«
Es ist alles vorbereitet. Durch Vermittlung des Kommandanten habe ich dem Fischer die siebentausend Pesos zukommen lassen. Und nach fünf Tagen gibt es nur noch einen Wachtposten. Das Wachthäuschen ist aufgestellt, und wir warten auf den Regen, der nicht kommen will. Das Gitter ist mit den Sägen, die uns der Kommandant zukommen ließ, durchgesägt, der Einschnitt gut hinter einem Käfig verborgen, in dem ein Papagei haust, der auf französisch »Scheiße« zu sagen beginnt. Wir sitzen wie auf glühenden Kohlen. Der Kommandant hat die halbierten Geldscheine. Wir warten Nacht für Nacht – es regnet nicht. Der Kommandant muß eine Stunde nach Beginn des Regens den Kurzschluß an der Außenseite der Mauer herstellen. Aber es will und will nicht regnen in dieser Jahreszeit, unglaublich! Jede kleinste Wolke, die wir hinter unserem Gitter entdecken, erfüllt uns mit Hoffnung, und jedesmal ist es wieder nichts. Zum Verrücktwerden! Seit sechzehn Tagen ist alles bereit, sechzehn Nächte wachen wir mit klopfendem Herzen. Eines Sonntagmorgens sucht mich der Kommandant persönlich im Hof auf und führt mich in sein Amtszimmer. Er überreicht mir das Paket mit den halbierten Geldscheinen und dreitausend Pesos in ganzen Scheinen.
»Was ist passiert?«
»Franzose, mein Freund, du hast nur noch diese eine Nacht vor dir, denn morgen früh um sechs Uhr geht es nach Baranquilla. Ich gebe dir von dem Fischer nur dreitausend Pesos, den Rest hat er ausgegeben. Wenn Gott will, regnet es diese Nacht, der Fischer erwartet dich. Wenn du ins Boot steigst, kannst du ihm das Geld für mich geben. Ich habe Vertrauen zu dir, ich weiß, daß ich diesbezüglich nichts zu fürchten habe.«
Es hat nicht geregnet.
Fluchtversuche in Baranquilla
Um sechs Uhr früh legten uns acht Soldaten und zwei von einem Leutnant begleitete Küstenwachen die Fesseln an, und in einem Militärlaster bringt man uns nach Baranquilla. Wir brauchen für die hundertachtzig Kilometer dreieinhalb Stunden. Um zehn Uhr sind wir bereits in dem Gefängnis, das sich »80« nennt, Medellinstraße, Baranquilla. So viel Aufwand an Energie, um nicht hierher zu kommen, und nun doch da zu sein!
Baranquilla ist eine wichtige Stadt. Sie ist der erste kolumbische Hafen am Atlantik, der innerhalb des Mündungsgebietes des Rio Magdalena liegt. Auch das Gefängnis ist von Bedeutung. Es beherbergt vierhundert Gefangene mit fast hundert Aufsehern und ist wie ein beliebiges europäisches Gefängnis eingerichtet. Zwei doppelte, mehr als acht Meter hohe Mauern umgeben es.
Der Leitungsstab des Gefängnisses mit Direktor Don Gregorio an der Spitze empfängt uns. Innen sind vier Höfe, je zwei auf einer Seite, dazwischen eine lange Kapelle, in der die Messe gelesen wird. Sie dient auch als Sprechzimmer. Man bringt uns in den Hof der besonders Gefährlichen. Bei der Durchsuchung hat man die dreiundzwanzigtausend Pesos und die kleinen Pfeile gefunden. Ich halte es für meine Pflicht, den Direktor darauf aufmerksam zu machen, daß sie vergiftet sind, was uns in seinen Augen kaum zu netteren Jungen macht.
»Sie haben sogar vergiftete Pfeile, diese Franzosen!«
Mit dem Aufenthalt in diesem Gefängnis beginnt der gefährlichste Teil unseres Abenteuers. Denn hier sollen wir tatsächlich den französischen Behörden ausgeliefert werden. Ja, Baranquilla und sein enormes Gefängnis stellen uns vor die Entscheidung. Wir müssen um jeden Preis heraus, ganz gleich, welches Opfer es kostet. Ich muß mit vollem Einsatz spielen.
Unsere Zelle liegt in der Mitte des Hofes. Es ist übrigens keine Zelle, sondern ein Käfig, im wahrsten Sinn des Wortes. Ein Zementdach, das auf dicken Eisenstangen ruht. In den Ecken sind die Toiletten und Waschräume. Die übrigen Gefangenen, etwa hundert, befinden sich in den Zellen, die in den vier Mauern liegen. Zum Hof hin, der ungefähr zwanzig mal vierzig Meter mißt, sind sie durch Gitter abgeschlossen. Über jedem Gitter läuft ein schmales Blechdach, damit es nicht in die Zellen hineinregnet. Nur wir sechs Franzosen sind in dem Käfig in der Mitte, wo man Tag und Nacht den Blicken der anderen Gefangenen ausgesetzt ist, aber vor allem denen der Wachtposten. Tagsüber halten wir uns im Hof auf, von sechs Uhr früh bis sechs Uhr abends. Man kann in der Zelle ein und aus gehen, wie man will, kann sich unterhalten, Spazierengehen oder sogar im Hof
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