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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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sind des Diebstahls angeklagt, der Plünderung, der Brandstiftung, des Mordes oder der Verführung zum Mord, des Raubmordes, der Verführung zur Flucht, der Flucht, ja sogar der Menschenfresserei. Wir sind zwanzig auf jeder Seite, und alle sind wir an die gleiche, mehr als fünfzehn Meter lange Eisenstange gekettet. Um sechs Uhr abends wird jeder auf seiner Pritsche mit dem Eisenring an seinem Fuß an die Eisenstange angehängt. Um sechs Uhr morgens nimmt man uns den dicken Ring ab, und man darf sich tagsüber niedersetzen, darf umhergehen, Dame spielen und sich im »Gang«, einem zwei Meter breiten Weg durch den ganzen Saal, miteinander unterhalten. Tagsüber kenne ich keine Langeweile, alle möglichen Gefangenen kommen mich in kleinen Gruppen besuchen, um sich von unserer Flucht erzählen zu lassen. Sie brüllen, wenn ich ihnen erzähle, daß ich freiwillig die Goajiros, Lali und Zoraima verlassen habe.
    »Was suchst du denn eigentlich, Kumpel?« fragt mich ein Pariser, der mir zuhört. »Straßenbahnen, Aufzüge, Kinos? Das elektrische Licht mit seinem Hochspannungsstrom, mit dem man den elektrischen Stuhl betätigt? Oder willst du im Bassin auf der Place Pigalle ein Bad nehmen? Was, Kumpel? Dort hast du zwei Mädchen, eines hübscher als das andere, läufst nackt herum, mitten in der Natur, mit der ganzen Nudistenbande! Hast zu essen, zu trinken, gehst auf die Jagd! Hast das Meer, die Sonne, den warmen Sand und die Perlen, die Muscheln, alles gratis, und dir fällt nichts Besseres ein, als das alles zu verlassen? Aus welcher Sehnsucht denn? Möchtest du mir das nicht sagen? Um wieder über die Straßen rennen zu müssen, damit du nicht überfahren wirst? Um wieder Miete zahlen zu müssen, Schneiderrechnungen, Gas, Strom, Telephon? Wenn du ein Auto willst, mußt du sowieso einbrechen gehen, denn selbst wenn du wie ein Irrer arbeitest, verdienst du gerade so viel, daß du nicht vor Hunger krepierst. Ich verstehe dich nicht, Mensch. Du warst im Himmel und gehst freiwillig in die Hölle zurück, wo du aus Sorge um deine Existenz sämtlichen Polizisten der Welt entwischen mußt. Man sieht, daß du noch viel zu frisches Franzosenblut in dir hast, weil du dir noch nicht die Zeit genommen hast, deine körperlichen und moralischen Fähigkeiten zu beobachten, wie sie bereits nachlassen. Ich, mit meinen zehn Jahren Bagno, ich kann dich nicht begreifen.
    Deswegen aber sollst du uns doch in jeder Weise willkommen sein, und da du ja todsicher die Absicht hast, die Sache wieder von vorne anzufangen, zähl auf uns, wir helfen dir. Stimmt’s, Kumpels? Einverstanden?«
    Sie sind alle einverstanden, und ich bedanke mich bei ihnen.
    Es sind, wie ich sehe, alles gefürchtete Männer. In einer solchen Gemeinschaft ist es nur schwer zu vermeiden, daß der eine oder andere bemerkt, daß man einen Stöpsel trägt. Und wenn nachts alle an der gemeinsamen Eisenstange liegen, könnte einen so einer leicht und ungestraft töten. Es würde genügen, einen der arabischen Wärter zu bestechen, daß er den Eisenring nicht richtig verschließt. Nachts könnte sich der Nachbar dann losmachen, tun, was er zu tun vorhat, und sich ruhig wieder hinlegen, nachdem er seinen Fußring sorgfältig verschlossen hat. Da der Araber indirekt daran beteiligt war, wird er die Schnauze halten.
    Schon sind es drei Wochen, daß ich hier bin. Sie sind rasch vergangen. Ich fange etwas zu gehen an, indem ich mich im Gang an der Stange festhalte, die die beiden Reihen der Holzpritschen voneinander trennt. Es sind meine ersten Versuche. Beim Verhör letzte Woche habe ich die drei Spitalsposten getroffen, die wir an der Tür niedergeschlagen und entwaffnet hatten. Sie freuen sich, daß wir wieder da sind, und hoffen, uns eines Tages in die Hände zu bekommen. Sie haben nach unserer Flucht alle drei schwere Einbußen erlitten: Aufhebung ihres sechsmonatigen Europaurlaubs, Aufhebung ihrer Kolonialzulage für ein Jahr. Unnötig, zu betonen, daß unsere Wiederbegegnung nicht eben herzlich ausfiel. Wir haben das beim Verhör auch erwähnt, damit die Bedrohung offiziell zur Kenntnis genommen wird.
    Der Araber hat sich besser verhalten. Er hat die bloße Wahrheit gesagt, ohne zu übertreiben, und die von Maturette gespielte Rolle vergessen. Der Hauptmann-Untersuchungsrichter bestand darauf, zu erfahren, wer uns das Boot verschafft hat. Wir warten ihm mit einer unwahrscheinlichen Geschichte auf, daß wir das Boot selber verfertigt hätten und ähnliches mehr.
    Was den Überfall

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