Papillon
Aufseher mit der Leichenbittermiene, der mir am nächsten steht: »Mit den Ketten, die ihr uns da angelegt habt, riskiert man wenigstens nicht, sich retten zu können, falls diese verdammte Schale kentert. Bei dem Zustand, in dem die ist, kann das bei grober See leicht passieren!«
Schlecht gelaunt, wie er ist, reagiert der Posten, wie vorausgesehen:
»Und wenn ihr schon ersauft, wir haben Befehl, euch anzuketten, das ist alles, die Verantwortung tragen die, die solche Befehle erlassen, wir sind in jeder Weise gedeckt.«
»In jeder Weise. Sie haben ganz recht, Herr Aufseher, mit oder ohne Ketten. Wenn dieser Sarg unterwegs zu lecken beginnt, ertrinken wir alle miteinander.«
»Ach, wissen Sie, das Boot macht diese Fahrt schon sehr lange, und es ist noch nie etwas passiert«, erwidert der Idiot.
»Eben, weil das Boot schon zu lange fährt, ist es jetzt soweit, daß ihm jeden Moment etwas zustoßen kann.«
Ich habe erreicht, was ich wollte: das allgemeine Schweigen, das an meinen Nerven genagt hat, ist durchbrochen. Das Thema wird von den Aufsehern wie von den Sträflingen sofort aufgegriffen. »Ja, dieser Kahn ist gefährlich, und obendrein sind wir angekettet. Ohne Ketten hätte man immerhin eine Chance.«
»Ach, ist ja egal. Wir mit unserer Uniform, den Stiefeln und dem Karabiner sind um gar nichts besser dran.«
»Der Karabiner zählt nicht, im Fall eines Schiffbruchs wirft man ihn weg«, sagt ein anderer.
»Wo sind die Rettungsboote?« werfe ich ein, da ich sehe, daß die Sache zieht. »Ich sehe nur ein ganz winziges für höchstens acht Mann. Wenn der Kommandant und die Mannschaft einsteigen, ist es voll. Und die andern?«
Jetzt geht’s los. In voller Lautstärke.
»Das stimmt! Nichts ist da, und das Boot in so einem Zustand! Es ist unverantwortlich, Familienväter einer solchen Gefahr auszusetzen, nur weil man diese Taugenichtse begleiten muß!«
Da ich mich in der Gruppe auf dem Hinterschiff befinde, reisen auch die beiden Chefs der Begleitung mit uns. Einer der beiden sieht mich an und fragt: »Bist du Papillon, der, der aus Kolumbien zurückkommt?«
»Ja, der bin ich.«
»Es wundert mich nicht, daß du so weit gekommen bist, du scheinst dich mit Schiffen auszukennen?«
»Ja, sehr gut«, versetze ich anmaßend.
Eiseskälte verbreitet sich. Überdies steigt der Kommandant von seiner Brücke herunter, denn während wir die Maronimündung passierten, eine äußerst gefährliche Stelle, hatte er pflichtgemäß selbst die Ruderpinne übernommen. Jetzt übergibt er sie einem andern. Dann fragt der Kommandant, ein kleiner, dicklicher Tombuktuneger mit ziemlich jungem Gesicht, wo denn die Burschen sind, die in der Nußschale nach Kolumbien fuhren.
»Der da, der und der andere dort an der Seite«, antwortet der Chef der Bewachung.
»Wer war der Kapitän?« fragt der Zwerg.
»Ich, Monsieur.«
»Mein Junge«, sagt der Kerl gönnerhaft, »als Seemann gratuliere ich dir. Du bist kein gewöhnlicher Mann.
Hier!« Er greift mit der Hand in seine Rocktasche: »Nimm dieses Päckchen Blättertabak. Rauche ihn auf meine Gesundheit!«
»Danke, Herr Kommandant. Aber ich muß auch Ihnen gratulieren, daß Sie den Mut haben, ein- bis zweimal wöchentlich, glaube ich, diesen Sarg zu steuern.«
Er lacht schallend, zum Vergnügen der Leute, die ich ärgern wollte.
»Ja, du hast recht«, sagt er. »Das Boot gehört längst auf den Friedhof, aber die Gesellschaft wartet darauf, daß es untergeht, um die Versicherung einzustecken.«
»Zum Glück haben Sie für die Mannschaft und für sich ein Rettungsboot«, schließe ich aggressiv.
»Ja, zum Glück«, sagt der Kommandant prompt, ehe er auf der Treppe verschwindet.
Das Thema, das ich vom Zaun gebrochen habe, füllt unsere Reise mehr als vier Stunden aus. Jeder hat etwas dazu zu sagen, und die Diskussion dehnt sich bis auf das Vorderschiff aus.
Gegen zehn Uhr vormittags ist die See nicht hoch, aber der Wind begünstigt die Fahrt nicht gerade. Wir fahren nordwestlich, gegen die Wellen und gegen den Wind. Natürlich schaukeln wir mehr als sonst.
Mehrere Aufseher und Sträflinge werden seekrank. Glücklicherweise ist der Mann, mit dem ich zusammengekettet bin, seefest, denn nichts ist so unangenehm, wie den Menschen neben sich speien zu sehen. Der Junge ist eine echte Pariser Asphaltblüte. Er ist 1927 ins Bagno gekommen. Seit sieben Jahren ist er auf den Inseln. Er ist relativ jung, achtunddreißig. »Man nennt mich Titi den Spieler, denn ich muß dir sagen,
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