Papillon
um die übrigen zu holen. An der Mole steigen wir aus und stellen uns vor dem Gebäude der Hafenverwaltung in Reih und Glied auf. Keiner von uns hat ein Gepäckstück. Unbekümmert um die Aufseher unterhalten sich die weißgekleideten Sträflinge aus einer klugen Entfernung von fünf bis sechs Meter mit uns. Mehrere Männer aus meinem alten Transport begrüßen mich freundschaftlich. Cesari und Essari, zwei korsische Banditen, die ich aus Saint-Martin kenne, sagen mir, daß sie im Hafen als Bootsfahrer angestellt sind. Auch Chapar, der von der Börsenaffäre in Marseille, den ich vor meiner Verhaftung in Frankreich kennenlernte, kommt auf mich zu.
»Mach dir nichts draus, Papi«, ruft er ungeniert vor dem Posten, »zähl auf deine Freunde, es wird dir im Zuchthaus an nichts fehlen. Was haben sie dir aufgebrummt?«
»Zwei Jahre.«
»Die sind bald vorüber, und dann kommst du zu uns. Du wirst sehen, wir haben es hier nicht schlecht.«
»Danke, Chapar. Was macht Dega?«
»Er ist oben Buchhalter. Wundert mich, daß er nicht da ist. Es wird ihm leid tun, dich nicht gesehen zu haben.«
Im selben Augenblick kommt Galgani. Die Wache will ihn nicht durchlassen, aber er kommt trotzdem. »Ihr werdet mich nicht daran hindern, meinen Bruder zu umarmen, bei Gott nicht!« sagt er. Er umarmt mich.
»Zähle auf mich!« sagt er. Dann geht er wieder.
»Was machst du?«
»Ich bin Briefträger.«
»Und wie geht’s dir?«
»Ich hab Ruhe.«
Die letzten sind an Land gestiegen und schließen sich uns an. Man nimmt uns die Fesseln ab. Titi der Spieler, der Graf Berac und einige Unbekannte bilden eine Gruppe. »Los, zum Lager hinauf!« fordert sie einer der Gammler auf. Sie haben alle noch ihren Kleidersack aus dem Bagno, den sie über die Schulter werfen.
Dann gehen sie auf einen Weg zu, der wohl auf die Anhöhe der Insel führt. Von sechs Aufsehern begleitet, kommt der Kommandant der Inseln daher. Die Namen werden verlesen. Keiner fehlt. Unsere Eskorte ist entlassen.
»Wo ist der Buchhalter?« fragt der Kommandant.
»Da kommt er, Chef.« Ich sehe, in weißem Anzug mit zugeknöpftem Rock, Dega, begleitet von einem Aufseher. Sie tragen jeder ein dickes Buch unter dem Arm. Sie lassen die Männer hintereinander aus der Reihe treten, um sie neu einzuteilen.
»Sie, Zuchthaussträfling Soundso, mit Transportnummer X werden jetzt als Zuchthaussträfling Z eingetragen.«
»Wie viele Jahre?«
« X Jahre.«
Als die Reihe an mich kommt, umarmt mich Dega mehrere Male.
Der Kommandant tritt auf uns zu. »Ist das Papillon?«
»Ja, Herr Kommandant«, sagt Dega.
»Führen Sie sich gut im Zuchthaus. Zwei Jahre gehen schnell herum.«
Das Zuchthaus
Unser Boot wartet. Von den neunzehn Zuchthäuslern wurden zehn mit dem ersten Boot befördert. Ich werde aufgerufen. »Nein, der fährt mit dem letzten Boot«, sagt Dega kalt.
Seit meiner Ankunft bin ich immer wieder verblüfft, in welchem Ton die Bagnosträflinge miteinander reden.
Sie lassen es an Disziplin fehlen und scheinen sich über die Gammler glatt hinwegzusetzen. Dega ist neben mir. Er kennt bereits meine Geschichte und die meiner Flucht, die Männer, die mit mir in Saint-Laurent waren und auf die Inseln gekommen sind, haben ihm alles haarklein erzählt. Er bedauert mich nicht, er sagt nur eines, das aber aus ganzem Herzen: »Du würdest es verdienen, daß es dir endlich gelingt, mein Junge. Auf ein nächstes Mal!« Er sagt nicht einmal: Mut! Denn er weiß, daß ich den habe. »Ich bin Oberbuchhalter und stehe sehr gut mit dem Kommandanten. Halt dich gut im Zuchthaus. Ich werde dir Tabak und etwas zu essen schicken, es soll dir an nichts fehlen.«
»Papillon! Einsteigen!« Ich bin an der Reihe.
»Auf Wiedersehen alle! Und danke für alle guten Worte!«
Ich steige ein. Zwanzig Minuten später landen wir auf Saint-Joseph. Ich hatte Zeit, zu beobachten, daß nur drei bewaffnete Gammler für insgesamt sechs Rudersträflinge und zehn Zuchthäusler an Bord waren. Das Boot in Besitz zu nehmen wäre lächerlich einfach gewesen… Auf Saint -Joseph werden wir von einem Komitee empfangen. Zwei Kommandanten stehen vor uns: der Kommandant der Strafinsel und der Zuchthauskommandant. Zu Fuß, von Wachen eskortiert, gehen wir den Weg zum Zuchthaus hinauf. Kein Sträfling begegnet uns. Beim Anblick der Überschrift »Strafhaus« über dem großen Eisentor wird man sich erst der Strenge dieses Hauses voll bewußt. Innerhalb der hohen quadratischen Mauer stößt man zunächst auf ein niedriges
Weitere Kostenlose Bücher