Papillon
Kumpel, das Spielen ist meine ganz starke Seite. Auf den Inseln lebe ich davon. Ich spiele Belote, nächtelang, zu zwei Franc den Punkt. Das bringt etwas ein, wenn man es ansagt. Wenn du mit vier Buben zweihundert Punkte gewinnst, zahlt dir dein Partner vierhundert Eier und noch was für die restlichen Punkte dazu.«
»Da muß es ja eine Menge Geld auf den Inseln geben?«
»Und ob, Papillon! Die Inseln sind voll mit vollgestopften Stöpseln. Die einen tragen sie mit sich herum, die andern zahlen fünfzig Prozent für das Geld, das sie von den spielenden Aufsehern bekommen. Man sieht, daß du ein Neuer bist, du scheinst überhaupt nichts zu wissen?«
»Nein, ich weiß gar nichts über die Inseln. Ich weiß nur, daß es schwer ist, von dort auszubrechen.«
»Ausbrechen?« sagt Titi. »Gar nicht wert, darüber zu reden. In den sieben Jahren, die ich dort bin, hat es nur zwei Fluchtversuche gegeben. Resultat: drei Tote, zwei Verhaftete. Das ist noch keinem gelungen. Und darum gibt es auch nicht viele, die ihr Glück versuchen.«
»Wozu bist du aufs Festland gefahren?«
»Ich habe mich röntgen lassen, weil ich wissen wollte, ob ich nicht ein Geschwür habe.«
»Und du hast nicht gleich versucht, aus dem Spital auszubrechen?«
»Das fragst
du?
Deinetwegen ist doch alles verschärft worden. Dazu hatte ich das Glück, gerade in den Saal zu geraten, aus dem du entsprungen bist. Du siehst doch die Bewachung hier. Jedesmal wenn man ans Fenster ging, um Luft zu schnappen, wurde man zurückgepfiffen. Und wenn du gefragt hast, warum, hat man dir gesagt: für den Fall, daß du es machen willst wie Papillon.«
»Sag mir, Titi, wer ist der Große, der dort neben dem Chef sitzt? Ist das ein Denunziant?«
»Bist du verrückt? Der Kumpel wird von allen sehr geschätzt! Er ist nicht aus unserem Milieu, aber er hält sich wie einer von uns. Er biedert sich nicht mit den Posten an, sucht keine Begünstigung und geht der Polizei aus dem Weg. Er ist ein guter Kamerad und kann dir mitunter auch einen guten Rat geben. Nicht einmal der Pfarrer und der Doktor konnten ihn für sich gewinnen. Er stammt von Ludwig dem Fünfzehnten ab. Ja, mein Schwan, das ist ein richtiger Graf, Graf Jean de Berac. Trotzdem, wie der kam, hat es lange gedauert, bis er sich die Achtung der Männer erworben hat, denn er hat ein schauerliches Ding gedreht, um hierher zu kommen.«
»Was hat er denn gemacht?«
»Er hat seinen eigenen Jungen über eine Brücke in den Fluß geworfen, und weil der Junge auf eine Stelle gefallen ist, wo sehr wenig Wasser war, hat er das Herz gehabt, ihn wieder herauszufischen und an einer tieferen Stelle hineinzuwerfen.«
»Was!? Das ist ja, als ob er sein Kind gleich zweimal umgebracht hätte!«
»Ein Freund von mir, der Buchhalter ist und seinen Akt gesehen hat, sagt, daß der Mann von seiner eigenen noblen Familie terrorisiert worden ist. Seine Mutter hat die Mutter des Knaben, die eine junge Zofe in seinem Schloß war, wie eine Hündin auf die Straße gejagt. Mein Freund sagt, daß der Junge hierauf ganz von seiner hochmütigen, pedantischen Großmama beherrscht wurde, die ihn, den Grafen, wegen seiner Beziehungen zu dem Stubenmädchen so gedemütigt hat, daß er nicht mehr wußte, was er tut, als er den Buben ins Wasser schmiß. Vorher hat er noch der Alten gesagt, daß er ihn der öffentlichen Fürsorge übergeben will.«
»Wieviel hat er bekommen?«
»Nur zehn Jahre. Du glaubst jetzt wahrscheinlich, Papillon, daß der kein Mann ist wie wir. Die Gräfin, Hüterin der Familienehre, hat den Gerichtsbeamten erklärt, daß es kein schweres Delikt ist, den Sohn einer Zofe zu töten, wenn es ein Graf tut, weil er den Ruf seines Hauses retten will.«
»Und was schließt du aus dem allen?«
»Ich, als bescheidener Pariser Gassenjunge, sage dir frei und ohne Rücksicht auf seine Geschichte, daß dieser Graf Jean de Berac ein Bauernschinder war, der so erzogen wurde, daß es in allem nur auf sein blaues Blut ankommt. Alle andern sind ihm unwichtig und nicht wert, sich mit ihnen abzugeben. Sie sind gerade keine Leibeigenen, aber Wesen, um die man sich nicht zu kümmern braucht. Seine Mutter, dieses Ungeheuer an Egoismus und Überheblichkeit, hat ihn so terrorisiert und gequält, daß er am Ende so wurde wie sie. Erst im Bagno ist dieser Herr, der früher glaubte, noch das Recht der ersten Nacht zu haben, im wahrsten Sinn des Wortes ein echter Edelmann geworden. Es scheint paradox, aber erst jetzt ist er wirk lich der Graf Jean
Weitere Kostenlose Bücher