Papillon
Gebäude, über dem zu lesen ist: »Verwaltung – Direktion«. Daneben gibt es noch drei andere Gebäude, A, B und C. Wir werden in die Direktion geführt. In einem kalten Saal müssen wir uns in zwei Reihen aufstellen.
»Zuchthaussträflinge«, sagt der Kommandant, »dieses Haus ist, wie Sie wissen, ein Strafhaus für im Bagno begangene Delikte. Man versucht hier nicht, Sie zu bessern. Wir wissen, daß das sinnlos ist. Man versucht Sie zu bändigen. Es gibt hier nur eine einzige Regel: Maul halten. Absolute Schweigepflicht. Wer telephoniert, riskiert eine sehr harte Strafe, wenn er erwischt wird. Wer nicht ernstlich krank ist, wird nicht zur Visite eingetragen. Eine ungerechtfertigte Visite zieht Bestrafung nach sich. Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe… Ach ja, und noch eins: es ist streng verboten zu rauchen. Aufseher, durchsuchen Sie die Leute gründlich, und dann ab in die Zellen! Charrière, Clousiot und Maturette dürfen nicht in ein und demselben Gebäude untergebracht werden. Teilen Sie das selbst ein, Herr Santori.«
Zehn Minuten später bin ich in meiner Zelle eingesperrt. Mein Name und meine Adresse: Nummer 234, Gebäude A. Clousiot ist auf B, Maturette auf C. Wir haben uns nur mit Blicken voneinander verabschiedet.
Schon beim Eintreten hat man begriffen: Wenn man hier lebend herauskommen will, muß man sich den unmenschlichen Verordnungen fügen. Ich sehe sie weggehen, die Kameraden meiner langen Flucht. Sie waren stolz, so mutig, und so tapfer. Haben sich nie beklagt, nie bedauert, daß sie den Ausbruch mit mir unternommen haben. Mein Herz preßt sich zusammen. Unser gemeinsamer Kampf um die Freiheit hat uns für immer zu Freunden gemacht.
Ich sehe mir die Zelle an. Niemals wäre ich je auf den Gedanken gekommen, daß ein Land wie Frankreich, die Mutter der Freiheit der ganzen Welt, auf dessen Boden die Menschen- und die Bürgerrecht e geboren wurden, sogar in Französisch-Guayana, auf einer einsamen Insel im Atlantik, die nicht viel größer als ein Taschentuch ist, eine so barbarische Einrichtung haben könnte wie das Zuchthaus von Saint -Joseph. Stellen Sie sich hundertfünfzig Zellen vor, eine neben der andern, und jede Rücken an Rücken mit einer anderen Zelle liegend, und jede aus vier dicken Mauern, die nur von einer kleinen Eisentür mit einem kleinen Fenster darin durchbrochen sind. Über jedem der kleinen Fenster steht an die Tür gepinselt: »Diese Tür darf nur mit Erlaubnis der Direktion geöffnet werden.« Links eine Pritsche mit einem Keil aus Holz, gleiches System wie in Caen: die Pritsche wird an die Mauer zurückgeschlagen. Eine Decke, ein Betonblock in der Ecke als Hocker, ein Handbesen, ein Eisenbecher, ein Holzlöffel, eine senkrechte Eisenplatte, mit welcher der metallene Klosetteimer dahinter durch eine Kette verbunden ist. Die Decke, in drei Meter Höhe, besteht aus gekreuzten Eisenstangen, dick wie Eisenbahnschienen, die so dicht liegen, daß kaum irgend etwas durch kann. Darüber ist das Dach des Gebäudes, ungefähr sieben Meter hoch. Im Hintergrund der Zellen läuft, überhängend, ein ein Meter breiter Steg für die Posten, mit einem Eisengeländer. Zwei Aufseher patrouillieren unaufhörlich von einem Ende des Ganges bis zur Mitte, wo sie einander begegnen und wieder umkehren. Der Eindruck ist grauenhaft. Das Tageslicht fällt nur bis zu diesem Steg herein. Unten in der Zelle sieht man sogar bei vollem Tageslicht kaum etwas. Ich beginne sofort meinen Marsch, bis der Pfiff oder weiß Gott was zum Herunterlassen der Pritsche ertönt. Um keinen Lärm zu machen, gehen Gefangene wie Wärter in Filzpantoffeln. Hier, auf Nummer 234, wirst du versuchen zu leben, ohne verrückt zu werden, Charrière, genannt Papillon, denke ich unwillkürlich. Zwei Jahre, das sind siebenhundertdreißig Tage. Ich werde den Spitznamen dieses Gebäudes – die »Menschenfresserin« – Lügen strafen!
Eins, zwei, drei, vier, fünf – kehrt. Eins, zwei, drei, vier, fünf – kehrt. Der Posten geht oben an mir vorüber. Ich habe ihn nicht kommen gehört, ich habe ihn kommen gesehen. Ein Blitz! – das Licht flammt auf, aber sehr hoch oben, sechs Meter hoch, knapp unter dem Dach. Der Steg ist beleuchtet, die Zellen liegen im Dunkel.
Ich marschiere, das Perpendikel ist wieder in Bewegung. Schlaft ruhig, ihr Käsegesichter,
die
ihr mich verurteilt habt. Ich glaube, wenn ihr wüßtet, wohin ihr mich geschickt habt, würdet ihr euch entsetzt dagegen verwahren, mit einer solchen
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