Papillon
sich darüber, daß sich so viele große Fleischstücke von dem Fisch ablösen lassen, und liest in meinem Gesicht die Befriedigung über das köstliche Mahl. Ich bin nicht mehr in der Zelle und weiß auch nichts mehr vom Zuchthaus, von Saint-Joseph und den Inseln. Ich wälze mich im Sand und säubere mir die Hände, indem ich sie mit dem mehlfeinen Korallensand abreibe. Dann gehe ich ans Meer und spüle mir mit dem kristallklaren Salzwasser den Mund aus, schöpfe Wasser mit den Händen und wasche mir das Gesicht. Beim Abreiben des Halses fällt mir auf, wie lang meine Haare geworden sind. Wenn Lali wieder da ist, werde ich mir den Hals hinten ausrasieren.
Die ganze Nacht verbringe ich bei meinem Stamm. Ich nehme Zoraima das Hüfttuch ab, und umschmeichelt von der Meeresbrise nehme ich sie bei hellem Sonnenschein. Sie stöhnt verliebt, wie sie es gerne tat, wenn es ihr so recht Vergnügen machte. Vielleicht trägt der Wind diese verliebte Musik bis hin zu Lali. Auf jeden Fall weiß Lali davon, sie ist uns zu nahe, um nicht genau zu sehen, daß wir uns paaren. Und lieben! Sie muß uns sehen, das Boot kommt bereits an die Küste zurück. Lächelnd steigt sie an Land. Während der Rückfahrt hat sie sich die Zöpfe abgenommen und mit den langen Fingern die feuchten Haare ausgekämmt, die bei dem Wind und der Sonne des herrlichen Tages rasch trocknen. Ich gehe auf sie zu. Sie schlingt den rechten Arm um meine Mitte und drängt mich über den Strand zur Hütte zurück. »Ich auch, ich auch«, gibt sie mir zu verstehen. In der Hütte angekommen, wirft sie mich auf eine zusammengelegte Hängematte auf dem Boden, und so gebettet, vergesse ich in ihr die Welt. Zoraima ist klug. Sie kommt nicht früher herein, als bis sie annimmt, daß unser Spiel beendet ist. Erst als Lali und ich, gesättigt von der Liebe, nackt nebeneinander auf der Hängematte ruhen, ist sie wieder da, setzt sich zu uns, tätschelt der Schwester die Wangen und sagt zu ihr immer wieder ein Wort, das so etwas wie »Naschkatze« bedeuten muß. Dann legt sie uns beiden mit schamhafter Zärtlichkeit jedem sein Hüfttuch um. Die ganze Nacht treibe ich mich in Goajira herum, ich habe kein Auge zugetan. Ich habe mich nicht einmal niedergelegt, um die Szenen mit geschlossenen Lidern zu genießen. Wie hypnotisiert, ohne jede Willensanstrengung, habe ich mich während meines unermüdlichen Marsches an dem schönen, köstlichen Tag berauscht, der nun schon fast sechs Monate zurückliegt…
Das Licht geht aus, und man sieht, daß es Tag wird. Er dringt bis hierher in das Halbdunkel der Zelle und verjagt die schwebende Ungewißheit, die alles um mich eingehüllt hat. Ein Pfiff. Ich höre, wie die Pritschen an die Wand zurückgeschlagen werden, und sogar wie mein rechter Nachbar den Haken in den in der Mauer eingelassenen Ring steckt. Mein Nachbar hustet, und ich höre Wasser plätschern. Wie wäscht man sich hier eigentlich?
»Herr Aufseher, wie wäscht man sich hier?«
»Sie sind entschuldigt, Zuchthaussträfling, weil Sie es nicht wissen. Es ist ve rboten, mit einem Aufseher ohne Erlaubnis zu reden, das zieht sonst eine schwere Strafe nach sich. Wenn Sie sich waschen wollen, stellen Sie sich über den Abtritteimer, schütten sich mit der einen Hand den Topf Wasser über den Leib und waschen sich mit der andern. Sie haben Ihre Decke nicht benützt?«
»Nein.«
»In der liegt ein Leinenhandtuch.«
Also so ist das. Man ist nicht berechtigt, mit dem Wachtposten zu reden. Aus welchem Grund eigentlich?
Und wenn man irgendwelche Schmerzen hat? Wenn man am Krepieren ist? Einen Herzanfall bekommt, eine Blinddarmentzündung oder starkes Asthma? Ist es auch in Todesgefahr verboten, um Hilfe zu rufen? Das ist die Höhe! – Aber nein, es ist völlig normal. Sonst wäre es ja zu einfach, einen Skandal zu machen, wenn man am Ende seiner Widerstandskraft ist und einem die Nerven reißen. Keine Stimme, kein Wort, nicht einmal ein »Krepier, aber halt’s Maul!« Nichts. Und ganz klar, warum. Sonst würden ja zwanzigmal am Tag zwanzig von den zweihundertfünfzig, die es hier geben mag, einen Streit vom Zaun brechen, um
den
Gasdruck in ihren Gehirnen loszuwerden.
Ein Psychiater kann es nicht gewesen sein, der die Idee hatte, diesen Löwenkäfig zu bauen, ein Arzt würde sich nicht so tief erniedrigen. Es war auch kein Jusdoktor, der alle diese Verordnungen erließ. Aber sowohl der Architekt wie der Funktionär, die daran zusammen gearbeitet und den Strafverlauf bis ins letzte
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