Papillon
ausgeheckt haben, sind einer wie der andere widerwärtige Ungeheuer, verbrecherische Psychologen, voll von sadistischem Haß gegen die Verurteilten.
Das Echo der Martern und der schlechten Behandlung, die dem einen oder anderen Sträfling in den zwei Etagen tief unter der Erde liegenden Kellerlöchern der Zentrale von Caen widerfahren, könnte eines Tages durchsickern und an die Öffentlichkeit gelangen; die Angst in den Gesichtern der Wärter, als sie mir dort die Fesseln und Daumenschrauben abnahmen, hat es mir bewiesen! Aber hier, in diesem Zuchthaus des Bagnos, zu dem nur die Funktionäre der Verwaltung Zutritt haben, können sie beruhigt sein, hier kann ihnen nichts passieren.
Klack, klack, klack, klack – die Fenster in den Türen werden geöffnet. Ich gehe an meines heran, riskiere ein Auge, dann stecke ich den Kopf ein wenig hinaus, schließlich den ganzen. Links und rechts von mir sind eine Menge Köpfe zu sehen. Aha, ich verstehe! Kaum werden die Fenster geöffnet, steckt jeder den Kopf hinaus. Der rechts von mir schaut mich ohne jeden Ausdruck im Blick an. Vermutlich vor lauter Onanieren verblödet. Er ist blaß und fett, kein Funken Leben spricht aus seinem armen Idiotengesicht.
»Wieviel?« fragt mich der von links rasch.
»Zwei Jahre.«
»Ich hab vier. Eines ist schon vorbei. Wie heißt du?«
»Papillon.«
»Ich heiße Georges. Jojo l’Auvergnat. Wo bist du geschnappt worden?«
»In Paris. Und du?«
Er hat keine Zeit mehr, zu antworten. Der Kaffee und das Stück Brot sind zwei Zellen weiter angekommen.
Er zieht den Kopf zurück, ich auch. Ich strecke meinen Becher vor, man gießt mir Kaffee ein, dann reicht man mir das Brot. Da ich nicht schnell genug danach greife, klappt das Fenster zu, und mein Brot rollt zu Boden. Nach einer knappen Viertelstunde herrscht wieder tiefes Schweigen. Es muß hier zwei Verteilungen zugleich geben, je eine pro Gang, darum geht das so schnell. Mittags gibt es eine Suppe mit einem Stück Fleisch darin, abends einen Teller Linsen. Während der ganzen zwei Jahre gibt es nur abends Abwechslung: Linsen, rote Bohnen, Erbsenpüree, Kichererbsen, weiße Bohnen, Reis. Mittags gibt es immer dasselbe.
Alle vierzehn Tage steckt man den Kopf durch das Guckfenster, und ein Sträfling rasiert uns mit einer feinen Haarschneidemaschine den Bart.
Ich bin schon drei Tage hier. Etwas geht mir nicht aus dem Kopf. Meine Freunde haben mir auf der Ile Royale versprochen, mir etwas zu essen und zu rauchen zu schicken. Ich habe noch nichts bekommen und frage mich, wie sie dieses Wunder zustande bringen wollen. Es wundert mich gar nicht, daß ich noch nichts habe. Rauchen muß sehr gefährlich sein und ist auf alle Fälle ein Luxus. Essen, ja, das wäre gesund, denn die Suppe mittags ist nichts als warmes Wasser mit zwei, drei Blättchen Grün darin und einem gekochten Fleischstück von vielleicht hundert Gramm. Auch abends ist es nicht mehr als eine Schöpfkelle voll Wasser, in dem ein paar Bohnen oder etwas Dörrgemüse schwimmen. Offengestanden habe ich den Verdacht, daß das weniger an der Verwaltung liegt als an den Zuchthäuslern, die das Essen austeilen und zubereiten. Der Gedanke kommt mir, als eines Abends ein kleiner Marseiller das Gemüse verteilt. Er greift mit dem Schöpfer bis auf den Grund des Kessels, und ich habe auf einmal mehr Gemüse als Wasser. Die andern machen es umgekehrt. Sie rühren ein wenig um und nehmen von dem, was oben schwimmt. Und Unterernährung ist äußerst gefährlich. Um Willenskraft zu besitzen, braucht man eine gewisse physische Kraft.
Im Gang wird gekehrt. Ich finde, daß vor meiner Zelle besonders lang gekehrt wird. Das Stroh kratzt einen Augenblick an meiner Tür. Ich sehe genau hin und entdecke ein Stück weißes Papier. Man hat mir etwas unter die Tür geschoben! Aber man hat es nicht tief genug hineinschieben können. Er wartet darauf, daß ich es hereinziehe, ehe er weiterkehrt. Ich ziehe das Papier herein und entfalte es. Es ist mit phosphoreszierender Tinte beschrieben. Ich warte, bis der Wärter fort ist. Dann lese ich:
»Von morgen an werden jeden Tag im Abtritteimer fünf Zigaretten und eine Kokosnuß sein. Kau die Kokosnuß gut, wenn sie Dir anschlagen soll. Schlürfe das Innere aus. Rauche morgens, während man die Eimer ausleert. Niemals nach dem Frühstückskaffee, aber mittags, wenn Du die Suppe gegessen hast, und abends nach dem Gemüse. Anbei ein Stück Bleistiftmine. Immer wenn Du etwas brauchst, schicke ein Stück von dem
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