Papillon
weißt, daß du hier auf einem Vulkan herumtanzt.« Den ganzen Abend über kamen Männer bei mir vorbei, um mich zu sprechen. Rein wie zufällig, und sie sprachen von irgendwas, aber beim Weggehen sagten sie: »Ich bin einverstanden mit dem, was du gesagt hast, Papi.«
Nach dem Zwischenfall hatte ich bei den Männern einen Stein im Brett.
Von dem Tag an wurde ich bestimmt von meinen Kameraden als einer der Ihren angesehen, jedoch als einer, der sich den Dingen nicht unterwirft, ohne sie zu analysieren und zu besprechen. Ich bemerkte, daß es, wenn ich das Spiel hielt, weniger Streit gab, und wenn ich etwas befahl, dann gehorchten sie schnell.
Der Spielhalter, wie ich schon sagte, hebt fünf Prozent von jedem gewonnenen Spiel ein. Er sitzt auf einer Bank, den Rücken zur Mauer, um sich gegen einen jederzeit möglichen Mordanschlag zu sichern. Unter einem Tuch hat er auf seinen Knien ein offenes Messer versteckt. Um ihn herum ein Halbkreis von dreißig, vierzig, manchmal fünfzig Spielern aus allen Regionen Frankreichs, viele aus dem Ausland, die Araber eingerechnet. Das Spiel ist sehr einfach: Da sind der Bankhalter und die Mitspieler. Jedesmal wenn der Bankhalter verliert, gibt er seine Karten dem Nachbarn. Man spielt mit zweiundfünfzig Karten. Der Mitspieler teilt das Kartenpaket und behält sich versteckt eine Karte. Der Bankhalter zieht eine Karte und legt sie auf die Decke. Jetzt beginnt das eigentliche Spiel. Man setzt entweder auf den Mitspieler oder auf die Bank.
Sobald die Einsätze in kleinen Häufchen deponiert sind, beginnt man eine Karte nach der anderen zu ziehen. Die Karte, die vom selben Wert der beiden auf der Decke liegenden ist, verliert. Zum Beispiel: der Mitspieler hat eine Dame versteckt und der Bankhalter hat eine Fünf ausgelegt. Wenn also einer eine Dame vor der Fünf zieht, hat der Mitspieler verloren. Umgekehrt: wenn er eine Fünf zieht, hat die Bank verloren.
Der Spielhalter muß die Höhe jedes Einsatzes kennen und sich merken, wer Mitspieler und wer Bankhalter ist, um zu wissen, wem das Geld zukommt. Das ist nicht leicht. Er muß die Schwachen gegen die Starken verteidigen und dabei immer versuchen, deren Ansehen zu mißbrauchen. Wenn der Spielhalter in einem Zweifelsfall eine Entscheidung trifft, muß diese Entscheidung ohne Debatte angenommen werden.
Eines Nachts hatte man einen Italiener namens Carlino ermordet. Er lebte mit einem Jungen, der ihm die Frau machte. Alle beide arbeiteten in einem Garten. Er dürfte gewußt haben, daß sein Leben in Gefahr war, denn wenn er schlief, wachte der Junge, und umgekehrt. Unter ihrer Hängematte hatten sie leere Konservendosen aufgestellt, damit niemand daruntergleiten konnte, ohne großen Lärm zu machen. Und trotzdem wurde er von unten her ermordet. Seinem Aufschrei folgte unmittelbar ein schreckliches Geschepper von leeren Büchsen, die der Mörder umgeworfen hatte.
Grandet leitete gerade eine Pokerpartie, rund um ihn her mehr als dreißig Spieler. Ich selbst stand in der Nähe des Spiels und unterhielt mich mit jemandem. Der Aufschrei und der Lärm der Konservenbüchsen stoppten das Spiel. Jeder erhob sich und fragte, was denn los sei. Carlinos junger Freund hat nichts gesehen, und Carlino atmet nicht mehr. Der Chef der Casa fragt, ob er die Aufseher rufen soll. Nein. Morgen beim Appell ist Zeit genug, es ihnen mitzuteilen. Jetzt, da er tot ist, kann man ohnehin nichts mehr für ihn tun. Grandet ergreift das Wort:
»Niemand hat etwas gehört. Auch du nicht, mein Kleiner«, sagt er zu dem Kameraden von Carlino. »Morgen früh beim Wecken bemerkst du, daß er tot ist.« Und auf Teufel komm raus wird das Spiel fortgesetzt. Die Spieler, als wenn nichts gewesen wäre, fangen wieder an zu rufen: »Mitspieler! Nein, Bankhalter!« Und so weiter und so fort.
Mit Ungeduld warte ich darauf, zu sehen, was geschieht, wenn die Wächter einen Mord entdecken. Um fünf Uhr dreißig erstes Glockenzeichen. Sechs Uhr: zweites Glockenzeichen, und Kaffee. Um sechs Uhr dreißig drittes, und es geht zum Appell, wie jeden Tag. Aber heute ist es anders. Beim zweiten Glockenzeichen sagt der Chef der Casa zu dem Aufseher, der den Kaffeebringer begleitet:
»Chef, man hat einen Mann getötet!«
»Wer ist es?«
»Carlino.«
»So.«
Zehn Minuten später kommen sechs von den Aufsehern.
»Wo ist der Tote?«
»Dort.«
Sie sehen den durch die Hängematte in Carlinos Rücken eingedrungenen Dolch. Sie ziehen ihn heraus.
»Krankenträger! Bringt ihn weg.«
Zwei
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