Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
Vom Netzwerk:
Messer nicht!«
    An diesem Tag blieben alle in der Casa, niemand durfte hinaus, nicht einmal der Brotträger. Gegen Mittag kam der Obersanitäter, von zwei Hauptsanitätern begleitet, anstatt mit der Suppe mit einem Holzeimer herein, voll von Natronsulfatlauge. Nur die ersten drei waren gezwungen, die Brühe zu schlucken, der vierte fiel auf den Eimer, indem er einen Epilepsieanfall täuschend nachahmte, warf ihn um, und die Brühe ergoss sich nach allen Seiten. Der Zwischenfall endete also damit, daß der Chef der Casa die Brühe aufwischen mußte.
    Den Nachmittag verbrachte ich im Gespräch mit Jean Castelli. Er aß mit uns. Er macht die Hütte mit einem Toulonesser, Louis Gravon, verurteilt wegen Pelzdiebstahls. Als ich mit ihm von einem Fluchtversuch spreche, bekommt er glänzende Augen. Er sagt:
    »Im letzten Jahr habe ich probiert, zu flüchten, aber dann habe ich Schiß bekommen. Ich habe gleich vermutet, daß du nicht der Mann bist, der es hier lange aushält. Nur, sprichst du auf den Inseln von Flucht, so redest du chinesisch. Anderseits bemerke ich, daß du die Inselhäftlinge noch nicht richtig verstehst.
    Neunzig Prozent von ihnen, so wie du sie siehst, sind relativ glücklich hier. Keiner wird dich je verraten, was immer du tust. Wird einer erschlagen, gibt’s niemals einen Zeugen. Stiehlst du – dasselbe. Was immer einer von den Kumpels anstellt, alle machen ihm die Mauer. Die Inselhäftlinge haben nur vor einer einzigen Sache Angst – daß eine Flucht gelingt. Denn dann ist ihre relative Ruhe mit einemmal dahin: ununterbrochene Durchsuchungen, kein Kartenspiel mehr, keine Musik – weil während der Durchsuchungen die Instrumente zerschlagen werden –, kein Schach- und kein Damespiel, keine Bücher mehr, nichts, überhaupt nichts! Und auch keine Pfuscharbeiten mehr. Alles, absolut alles wird ihnen entzogen. Ununterbrochene Fledderei: Zucker, Öl, Beefsteaks, Butter, alles verschwindet. Und noch jede gelungene Flucht von den Inseln war auf dem Festland zu Ende, in der Umgebung von Kourou. Aber von den Inseln weg ist sie immerhin gelungen, das wird den Aufsehern angekreidet, und sie rächen sich dafür an uns.« l Ich bin ganz Ohr. So gesehen, schmeckt mir die Sache wenig. Noch nie hatte ich die Sache von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet.
    »Kurz«, sagt Castelli, »wenn du dir eines Tages in den Kopf setzt, eine Flucht vorzubereiten, mußt du mit dem allen rechnen, und bevor du darüber mit einem Kumpel sprichst, und sei es dein bester Freund, überleg dir’s zehnmal.«
    Jean Castelli, ein berufsmäßiger Einschleichdieb, hat ungewöhnliche Willensstärke und Intelligenz. Er haßt jede Gewalttätigkeit. Sein Spitzname ist »Griechenland«. Zum Beispiel wäscht er sich nur mit Seife aus Marseille, und wenn ich mich mit Palmolive gewaschen habe, sagt er: »Ehrenwort, du riechst nach Homo! Du hast dich mit Weiberseife gewaschen!« Leider ist er schon zweiundfünfzig, aber seine eiserne Energie zu beobachten ist die reine Freude. Er sagt mir: »Du könntest mein Sohn sein, Papillon. Das Leben auf den Inseln interessiert dich nicht. Du ißt gut, das ist notwendig, um in Form zu bleiben, aber du wirst dich niemals darauf einrichten, dein ganzes Leben hier bei uns zu verbringen. Ich gratuliere dir dazu. Von allen Sträflingen gibt es kaum ein halbes Dutzend, die so denken wie du. Schon gar nicht an Flucht. Klar gibt es einen Haufen Männer, die ein Vermögen dafür bezahlen, von hier weg aufs Festland zu kommen, um von dort zu flüchten. Aber hier glaubt keiner an so was.«
    Der alte Castelli gibt mir Ratschläge: Englisch lernen und bei jeder Gelegenheit mit einem Spanier spanisch reden. Er borgt mir ein Buch, aus dem kann einer das Spanische in vierundzwanzig Lektionen erlernen.
    Auch ein französisch-englisches Wörterbuch. Er ist sehr befreundet mit einem Marseiller, Gardes, der etwas von Fluchtversuchen versteht. Zweimal ist er schon geflüchtet, das erstemal aus einem portugiesischen Straflager, das zweitemal auf dem Festland. Er hat so seine eigenen Ansichten über einen Fluchtversuch von den Inseln. Jean Castelli auch. Gravon, der Toulonesser, hat auch seine eigene Vorstellung von der Sache. Keine Meinung stimmt mit der anderen überein. Von dem Tag an fasse ich den Entschluß, alles mit mir selbst abzumachen und nicht mehr von Flucht zu sprechen. Schwer, aber so ist es eben.
    Die einzige Sache, über die sich alle hier einig sind, ist: Karten spielen ist nur interessant wegen des Geldes,

Weitere Kostenlose Bücher