Papillon
sagt der Gammler von der Begleitmannschaft. »Da, hier, nehmen Sie diese Hacke!«
Eiskalt blickt ihn Castelli an: »Sag einmal, du Auvergnat du, siehst du nicht, daß man aus deinem Kaff kommen muß, um zu wissen, wie man mit diesem komischen Instrument umgeht? Ich bin ein Marseiller Korse. In Korsika wirft man die Arbeitsgeräte weit von sich, und in Marseille weiß man nicht einmal, daß sie existieren. Behalt dir deine Hacke und laß mich in Ruhe.«
Der junge Aufseher, noch nicht ganz informiert, wie ich später erfahren habe, erhebt die Hacke gegen Castelli. Wie aus einem Mund brüllen hundertzwanzig Mann: »Charognard, rühr ihn nicht an, oder du bist tot.«
»Wegtreten!« schreit Grandet, und ohne sich um die Angriffsstellung zu kümmern, die alle Aufseher eingenommen haben, kehren wir alle miteinander in die Casa zurück.
Die »Casa B« marschiert vorbei zur Arbeit, »Casa C« ebenfalls. Ein Dutzend Aufseher sammelt sich, und, eine seltene Sache, sie schließen die Gittertür. Eine Stunde später sind vierzig Aufseher zur Stelle, rechts und links von der Tür, die Maschinenpistole im Arm. Dazu der stellvertretende Kommandant, der Chef der Wache, der Chefaufseher, kurz, alle sind da – bis auf den Kommandanten, der um sechs Uhr früh –
vor
dem Zwischenfall – zur Inspektion auf die Teufelsinsel wegmußte.
Der stellvertretende Kommandant sagt:
»Daceli, rufen Sie die Männer einen nach dem andern auf.«
»Grandet?«
»Hier.«
»Treten Sie vor!«
Er geht hinaus, in die Mitte der vierzig Gammler. Daceli sagt ihm: »Gehen Sie an Ihre Arbeit.«
»Ich kann nicht.«
»Sie weigern sich?«
»Nein, ich weigere mich nicht, ich bin krank.«
»Seit wann? Sie haben sich beim ersten Appell nicht krank gemeldet.«
»Am Morgen war ich nicht krank, aber jetzt bin ich’s.«
Die ersten sechzig Herausgerufenen antworten alle genau dasselbe, einer nach dem andern. Nur einer ging bis zur Gehorsamsverweigerung. Zweifellos hatte er die Absicht, sich nach Saint-Laurent vor das Kriegsgericht bringen zu lassen. Als man ihn fragte: »Sie weigern sich?«, antwortete er:
»Ja, ich weigere mich, dreimal.«
»Warum dreimal?«
»Weil ich auf euch scheiße. Ich weigere mich kategorisch, für solche Idioten zu arbeiten, wie ihr es seid.«
Ungeheure Spannung. Die Wachen, diese Gammler, vor allem die jungen, ertrugen es nicht, von einem Sträfling derart erniedrigt zu werden. Sie warteten nur auf eine einzige Sache: auf irgendeine Bewegung, die ihnen erlauben würde, ihre Waffen in Aktion zu setzen, die bis jetzt auf den Boden gerichtet waren.
»Alle Aufgerufenen nackt ausziehen! In Marsch setzen zu den Zelten!« Während die Sachen auf den Boden fallen, ist ab und zu auch das klirrende Geräusch eines Messers auf dem Asphalt zu hören. In dem Augenblick kommt der Arzt an.
»Halt, der Arzt ist da! Würden Sie wohl diese Männer hier untersuchen, Herr Doktor? Wer nicht als krank erkannt wird, kommt in die Strafzelle. Die anderen haben in der Casa zu bleiben.«
»Sechzig Kranke?«
»Ja, Herr Doktor, mit Ausnahme des einen, der die Arbeit verweigert.«
»Fangen wir an«, sagt der Doktor. »Grandet, was fehlt Ihnen?«
»Bauchweh von wegen einem Aufseher, Herr Doktor. Wir sind alle Männer, die zu langen Strafen verurteilt sind, die Mehrzahl zu Lebenslänglich. Auf den Inseln – keine Hoffnung auf Flucht. Daher können wir dieses Leben nur ertragen, wenn es gewisse Elastizitäten und mehr Verständnis im Reglement gibt. Aber heute morgen hat sich ein Aufseher vor uns allen erlaubt, mit dem Hackenstiel auf einen Kameraden loszugehen, den jedermann achtet. Es war keine Abwehrbewegung, der Mann hat niemanden bedroht. Er hat nur gesagt, daß er keine Hacke in die Hand nehmen will. Das also ist die wahre Ursache unserer kollektiven Epidemie.
Es liegt nun an Ihnen, Herr Doktor, zu urteilen.«
Der Arzt senkt den Kopf, denkt eine Weile nach und sagt dann:
»Sanitäter, schreiben Sie! ,Auf Grund einer allgemeinen Lebensmittelvergiftung hat der Obersanitäter XYZ die notwendigen Maß nahmen zu ergreifen, um mit zwanzig Gramm Natronsulfat die Verdauung von all denen zu reinigen, die sich heute krank gemeldet haben. Was den Verbannten X anlangt, so bringen Sie ihn zur Beobachtung ins Spital, damit wir feststellen, ob er seine Arbeitsverweigerung auch im Vollbesitz seiner gesunden Sinne ausgesprochen hat.«
Dreht sich um und geht weg.
»Alle Mann hinein!« schreit der Zweite Kommandant. »Nehmt eure Sachen und vergesst eure
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