Papillon
harten Lagerordnung nun verschont zu sein. Man hat sogar das Steineschleppen aufgehoben.
Diese schreckliche Arbeitsgruppe wurde aufgelöst. Jetzt sind es die Büffel, die die Steine ziehen, die Sträflinge haben sie nur anzuketten. Carbonieri ist in die Bäckerei zurückgekehrt, und ich versuche wieder nach Royale zu kommen. Hier gibt es nämlich keine Werkstatt – und ohne Werkstatt kann man kein Floß bauen.
Die Tatsache, daß Petain an die Regierung gekommen ist, verschärft jetzt die Beziehungen zwischen der Strafverwaltung und den Sträflingen. Das ganze Personal der Verwaltung posaunt hinaus, daß es ganz auf der Seite von Petain steht, und das geht so weit, daß mir ein Aufseher aus der Normandie sagt:
»Wollen Sie was wissen, Papillon? Ich war niemals Republikaner.«
Auf den Inseln hat niemand ein Radio, und keiner kennt die letzten Neuigkeiten. Was die Ernährung anlangt, so wird behauptet, daß wir in Martinique und Guadeloupe die deutschen Unterseeboote versorgen. Keiner kennt sich mehr aus. Ununterbrochen gibt es Auseinandersetzungen.
»Himmel, Arsch, Papi, soll ich dir was sagen? Jetzt müßten wir eine Revolte machen, um die Inseln für das Frankreich de Gaulles zu sichern.«
»Ja glaubst du, der lange Charlot hat die Straflager nötig? Was soll er damit anfangen?«
»Klar! Um zwei- bis dreitausend Mann zu sammeln!«
»Lepröse, Verblödete, Tuberkulöse, Ruhrkranke? Du machst vielleicht Witze! Der ist doch kein Idiot, der Bursche, sich solche Kretins aufzuhalsen?«
»Und die zweitausend, die gesund sind?«
»Das ist was anderes. Aber wenn’s Männer sind, so bedeutet das noch lange nicht, daß sie zum Kämpfen taugen. Du glaubst wohl, so ein Krieg ist ein bewaffneter Raufhandel, wie? Eine Schlägerei, die dauert zehn Minuten – der Krieg, mein Lieber, dauert Jahre. Um ein guter Soldat zu sein, muß man ein guter Patriot sein.
Ob es euch gefällt oder nicht, ich jedenfalls sehe hier weit und breit keinen, der fähig wäre, sein Leben für Frankreich zu geben.«
»Und warum sollte man auch, nach allem, was man uns hier antut?«
»Eben. Da siehst du ja, daß ich recht habe. Zum Glück hat dieses lange Elend von einem Charlot andere Männer, als ihr’s seid, um Krieg zu führen. Und trotzdem! Sich vorstellen, daß diese deutschen Hunde jetzt bei uns zu Hause sind! Sich vorstellen, daß es Franzosen gibt, die mit den Boches gemeinsame Sache machen! Die Gammler hier, die erklären ohne Ausnahme, sie sind für Petain.«
Der Graf Berac meint: »Es wäre eine Möglichkeit, sich freizukaufen.« Und nun kommt es tatsächlich bald zu einer tollen Erscheinung. Niemals zuvor hat einer von uns davon gesprochen, sich freizukaufen. Und siehe da, jetzt sprechen alle davon, die Alteingesessenen wie die Zellenhäftlinge, alle diese armseligen Kreaturen sehen plötzlich einen Hoffnungsschimmer.
»Was glaubst du, Papillon, sollten wir nicht eine Revolte machen, damit uns de Gaulle in seine Truppe aufnimmt?«
»Bedaure, ich brauche niemanden, um mich loszukaufen. Die französische Justiz und das Kapitel ›Rehabilitierung‹ lassen mich kalt. Ich werde mich noch selber ›Rehabilitierter‹ taufen, meine einzige Pflicht ist die große Flucht, und bin ich einmal frei, ein normaler Mensch zu werden, der wieder der Gesellschaft lebt, ohne eine Gefahr für sie zu sein. Ich finde, daß ein richtiger Kerl nicht anders handeln kann, seine Bewährung nicht anders beweisen kann. Ich bin zu jeder Schandtat bereit, aber nur, wenn sie der Flucht dient. Übergebt nur die Inseln dem langen Charlot, mich interessiert das nicht, und ihn bestimmt auch nicht. Anderseits, weißt du, was die Kerle hoch oben sagen werden, wenn ihr so eine Sache steigen laßt? Sie werden sagen, ihr habt die Inseln genommen, um frei zu sein, und nicht als Hilfeleistung für ein freies Frankreich. Und dann, wer von euch weiß schon, wer recht hat? De Gaulle oder Petain? Ich jedenfalls leide nur wie ein armes Vieh darunter, daß mein Land verwüstet wird, und ich denke an meine Leute daheim, an meine Eltern, meine Geschwister und Verwandten.«
»Sind wir nicht Idioten, daß wir uns solchen Kummer um eine Gesellschaft machen, die doch gar kein Mitleid mit uns hat?«
»Immerhin ist es verständlich. Denn der französische Justizapparat mit seinen Gendarmen, Polizisten, mit diesen Aufpassern und Schnüfflern hier, das ist nicht Frankreich. Das ist eine Klasse für sich, eine Menschensorte mit einer vollkommen verzerrten Mentalität. Wie viele
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