Papillon
von diesen Leuten heute wohl bereit wären, ihre Dienste den Deutschen anzubieten? Wetten, daß die französische Polizei unsere Landsleute verhaftet und sie den Deutschen ausliefert? Ach – Schwamm drüb er. Ich sage dir nur, und ich wiederhole es, ich mach nicht mit bei einer Revolte, wie immer ihr sie begründet. Außer für eine Flucht!«
Zwischen den einzelnen Cliquen gibt es ernste Auseinandersetzungen. Die einen sind für de Gaulle, die anderen für Petain. Im Grunde kennt sich keiner aus, denn es gibt, wie schon gesagt, kein Radio, weder beim Kommando noch bei den Häftlingen. Die Nachrichten bringen uns die Schiffe, zusammen mit Mehl, Hülsenfrüchten und Reis. Für uns ist der Krieg, so weit aus der Ferne gesehen, schwer zu begreifen.
Angeblich ist in Saint-Laurent-du-Maroni ein Soldatenanwerber für das freie Frankreich angekommen. Aber bei uns weiß man nichts Genaues, nur daß überall in Frankreich die Deutschen sitzen.
Es gab einen komischen Vorfall: Ein Geistlicher kam nach Royale, und nach der Messe hielt er eine Predigt:
»Wenn die Inseln angegriffen werden, wird man euch Waffen geben, um den Aufsehern bei der Verteidigung französischen Bodens zu helfen.« Das hat er tatsächlich gesagt. Er muß eine armselige Meinung von uns haben, dieser Herr Priester! Hergehen und von Gefangenen verlangen, daß sie ihre Zellen verteidigen!
Der Krieg, der zeigt sich für uns von einer ganz anderen Seite: Verdoppelung der Aufsichtsorgane, angefangen vom einfachen Wächter bis hinauf zum Kommandanten; viele Inspekteure, von denen einige mit deutschem Akzent sprechen, oder stark elsässisch; wenig Brot, wir bekommen nur vierhundert Gramm, und sehr wenig Fleisch.
Erhöht wurde nur eine Ration: das Strafausmaß für mißglückte Flucht – Todesurteil mit sofortigem Vollzug.
Dem Anklagepassus wegen Fluchtversuchs wurde hinzugefügt: »Versuch, sich auf die Seite der Feinde Frankreichs zu schlagen.«
Nach einigen Monaten kehre ich nach Royale zurück. Dort habe ich im Lauf der Monate einen große n Freund gewonnen, den Doktor Germain Guibert. Seine Gattin, eine ganz außergewöhnliche Frau, hat mich gebeten, ihr einen Küchengarten anzulegen, damit sie unter den derzeitigen Umständen ihre Diät einhalten kann. Ich mache ihr einen Garten mit Salat, Radieschen, grünen Bohnen, Tomaten und Auberginen. Sie ist entzückt und behandelt mich wie einen guten Freund.
Dieser Arzt hat niemals die Hand eines Aufsehers gedrückt, welchen Dienstgrades immer, mir jedoch oft, und auch anderen Sträflingen, die er kennen und schätzen gelernt hat.
Nachdem ich wiederum ein freier Mann geworden war, habe ich durch den Doktor Rosenberg den Kontakt mit diesem Arzt Germain Guibert wiederaufgenommen. Er hat mir ein Photo von sich und seiner Frau geschickt, aus Marseille. Er war nach Marokko zurückgekehrt und beglückwünschte mich zu meiner wiedergewonnenen Freiheit. Er starb in Indochina bei der Rettung eines auf dem Schlachtfeld zurückgebliebenen Verwundeten. Er war ein ganz besonderer Mann, und die Frau seiner würdig. Als ich 1967 nach Frankreich kam, hatte ich das Bedürfnis, sie aufzusuchen. Aber ich verzichtete darauf, weil sie aufgehört hatte, mir zu schreiben, nachdem ich sie um eine Empfehlung gebeten hatte, was sie mir auch erfüllte. Seither jedoch hat sie mir keine Nachricht mehr gegeben. Ich kenne die Ursache ihres Schweigens nicht, aber ich bewahre für diese beiden Menschen tiefste Dankbarkeit in meinem Herzen für die Behandlung, die sie mir während ihres Aufenthaltes auf Royale angedeihen ließen.
Neuntes Heft: Saint-Joseph
Der Tod von Carbonieri
Gestern hat mein Freund Matthieu Carbonieri einen Messerstich mitten ins Herz bekommen. Dieser Mord wird eine Serie anderer Morde auslösen. Er war im Waschraum, ganz nackt, wollte sich waschen, sein Gesicht war voll Seife. Da erhielt er diesen Messerstich. Wenn sich jemand duscht, hat er die Gewohnheit, sein Messer zu öffnen und es unter seine Sachen zu legen, um es rechtzeitig packen zu können, falls einer, den man für einen Feind hält, sich unvermittelt nähert. Daß er das nicht getan hat, kostete ihm das Leben.
Der Mörder ist ein Armenier, sein Lebtag lang ein Killer.
Mit Erlaubnis des Kommandanten, und ein anderer half mir dabei, habe ich selber meinen Freund zum Kai hinuntergetragen. Er ist schwer, und während ich die Steilküste hinabsteige, mußte ich dreimal ausruhen. Ich habe an seinen Beinen einen großen Stein befestigen lassen und anstatt
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