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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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unserer Ankunft auch niemand entdeckt hatte.
    Es tut wohl, endlich wieder mit anderen Menschen zusammenzuleben, sie zu sehen, mit ihnen zu reden. Es gibt so viel zu erzählen, zu hören, zu tun, daß man gar keine Zeit mehr hat zum Nachdenken. Das Vergangene verwischt sich, wird nach und nach zweitrangig, und einmal im Zwangslager angekommen, vergißt man beinahe, was man einmal war und wieso man hierhergekommen ist. Wie soll man es da anstellen, nur noch an Flucht zu denken, wie man sich doch vorgenommen hat? Aber ich täuschte mich.
    Denn was einen am meisten in Anspruch nimmt und worauf es am meisten ankommt, ist dies: Am Leben zu bleiben!
    Wo sind sie jetzt alle, die Polizeispitzel, die Geschworenen, die Gerichtsbeamten, meine Frau, mein Vater, meine Freunde? Jeder von ihnen hat seinen Platz in meinem Herzen – nur: über dem Fieber der Abreise, dem großen Sprung ins Unbekannte, den vielen neuen Freundschaften und Bekanntschaften haben sie ihre einstige Bedeutung verloren, sind sie verblaßt… Doch auch das ist Täuschung, geht vorbei, und bald, sooft ich die Schubfächer, in die mein Geist jeden von ihnen gesteckt hat, herausziehe, sind sie alle wieder da, frisch und gegenwärtig.
    Endlich haben sie Galgani gefunden und zu mir geführt, er sieht ja trotz seiner dicken Brille kaum ein paar Schritte weit. Er scheint bei bester Gesundheit und drückt mir wortlos die Hand.
    »Ich möchte dir deinen Stöpsel zurückgeben«, sage ich. »Da es dir wieder gut geht, kannst du ihn selber tragen. Während der Reise wäre die Verantwortung für mich zu groß, und wer weiß, ob wir uns auf dem Schiff und nachher im Bagno wiedersehen. Es ist besser, du nimmst ihn an dich.«
    Galgani blickt mich unglücklich an.
    »Komm, gehn wir auf die Toilette, ich geb ihn dir.«
    »Nein, ich will ihn nicht. Behalt ihn, ich schenk ihn dir, er gehört dir.«
    »Was soll das?«
    »Ich will nicht wegen meinem Stöpsel umgebracht werden. Lieber ohne Geld leben, als wegen dem Geld krepieren. Ich schenk ihn dir. Nach allem, was sich da tut, hat es auch gar keinen Sinn mehr, daß du dein Leben riskierst, nur um mir meinen Flachs zu erhalten. Und wenn du es schon aufs Spiel setzen willst, dann sollst du wenigstens etwas davon haben.«
    »Du hast Angst, Galgani. Haben sie dich bedroht? Vermuten sie, daß du Geld hast?«
    »Ja, ich werde ständig von drei Arabern verfolgt. Darum bin ich auch nicht zu dir gekommen. Sie brauchen nicht zu wissen, daß wir in Kontakt stehen. Jedesmal wenn ich aufs Klo gehe, ob bei Tag, ob bei Nacht, immer taucht einer von diesen drei Springböcken neben mir auf. Dabei habe ich ihnen, wie unabsichtlich, bereits demonstriert, daß ich nichts bei mir trage. Zwecklos. Sie hören nicht auf, mich zu überwachen.
    Wahrscheinlich nehmen sie an, daß ein anderer meinen Stöpsel hat, und sind hinter mir her, um zu sehen, wann er wieder in meinem Besitz ist.«
    Ich blicke Galgani an. Sein Gesicht sagt deutlicher als Worte, daß er sich terrorisiert fühlt, verfolgt.
    »Wo ungefähr halten sie sich im Hof auf?« frage ich ihn.
    »So um die Küche und um die Wäscherei herum.«
    »Gut. Dann bleib dort, ich komm hin. Oder nein, komm mit mir.«
    Ich gehe mit Galgani auf die Araber zu. Ich habe das Skalpell unter meinem Käppi hervorgeholt und trage es in der Hand, die Klinge im Ärmel versteckt… Es sind ihrer vier: drei Araber und ein Korse namens Girando.
    Ich merke sofort, daß der Korse den Arabern die Sache gesteckt haben muß. Er ist von seinen Leuten im Stich gelassen worden und weiß höchstwahrscheinlich, daß Galgani den Stöpsel nicht halten kann.
    »He, Mokrane, wie geht’s?«
    »Danke, Papillon? Und dir?«
    »Gar nicht, verdammt! Ich komme, um dir zu sagen, daß Galgani mein Freund ist. Wenn ihm irgendwas passiert, bist du der erste, Girando, den ich mir vorknöpfe. Die andern kommen nach dir dran. Mach daraus, was du willst.«
    Mokrane steht auf. Er ist genauso groß wie ich, so um eins vierundsiebzig, und ebenso gedrungen. Die Herausforderung sitzt. Er stellt sich zum Kampf. Blitzschnell ziehe ich das nagelneue Messer heraus und halte es griffbereit.
    »Wenn du dich rührst, stech ich dich nieder wie einen Köter.«
    Verwirrt, mich hier, wo man ständig durchsucht wird, mit einer Waffe zu sehen, und beeindruckt von meiner Haltung und der Länge des Messers, sagt er: »Ich bin nur aufgestanden, um mit dir zu reden, nicht um mit dir zu raufen.«
    Ich weiß, daß das gelogen ist, aber es liegt mir daran, daß er vor

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