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Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
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Vorfall mit den Arabern erwiesen.
    Gegen drei Uhr morgens reihen die Zuchthäusler vor dem Zellengitter elf bis zum Bersten gefüllte Seesäcke aus grobem Leinen auf. Jeder ist mit einem Schild versehen. Eines, das durch das Gitter hereinbaumelt, kann ich lesen. C… Pierre, dreißig Jahre, ein Meter dreiundsiebzig, Größe zweiundvierzig, Schuhnummer einundvierzig, Matrikel X … Dieser C … Pierre ist Pierrot, der Narr. Er stammt aus Bordeaux und wurde in Paris wegen Mordes zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt.
    Pierrot ist ein braver Junge, ehrlich und korrekt, ich kenne ihn gut. Die Aufschrift beweist, wie genau und gut organisiert hier alles ist, jeder erhält die Kleider nach seinem Körpermaß. Durch das netzartige Gewebe sehe ich, daß der Anzug weiß ist, mit roten Längsstreifen. In einem solchen Kostüm kommt man nirgends durch.
    Ich bemühe mich, die Bilder der Richter, der Geschworenen und des Staatsanwaltes heraufzubeschwören.
    Mein Gehirn weigert sich jedoch kategorisch, mir den Gefallen zu tun, und ich begreife, daß man allein, völlig allein und verlassen sein muß, um die Szenen so intensiv zu durchleben wie damals in der Conciergerie.
    Diese Feststellung erleichtert mich etwas. Ich erkenne, daß das Gemeinschaftsleben, das mich erwartet, andere Bedürfnisse in mir hervorrufen wird, und andere Reaktionen. Pierrot, der Narr, kommt ans Gitter.
    »Wie geht’s, Papi?« fragt er.
    »Und dir?«
    »Ach, gut. Ich habe schon immer davon geträumt, einmal nach Amerika zu fahren, aber da ich Spieler bin, konnte ich nie das Reisegeld zusammenbekommen. Jetzt bietet mir die Polente die Überfahrt umsonst an, und den Aufenthalt auch. Da ist doch nichts dagegen zu sagen, wie?«
    Er sagt das ganz beiläufig, man merkt, daß es ihm absolut ernst ist. »So eine Reise auf Gerichtskosten hat ihre Vorteile. Ich gehe lieber ins Bagno, als mich fünfzehn Jahre lang in Frankreich im Zuchthaus herumzudrücken«, meint er.
    »Kommt auf das Resultat an, Pierrot. In einer Zelle blödsinnig werden oder in der Dunkelhaft eines Zuchthauses in Frankreich draufgehen ist ärger, als an Lepra krepieren oder an gelbem Fieber. Das ist meine Ansicht.«
    »Meine auch«, sagt er.
    »Schau, da hängt ein Schild, Pierrot!«
    Er bückt sich, studiert aufmerksam die Aufschrift, buchstabiert sie. »Ich hätte gute Lust, den Sack aufzumachen und das Zeug gleich anzuziehen. Die Sachen sind doch für mich.«
    »Warte lieber ab, es ist nicht der rechte Augenblick für solche Geschichten, Pierre. Ich brauche Ruhe.«
    Er versteht sofort und verschwindet.
    Louis Dega sieht mich an: »Das ist die letzte Nacht, Kleinen Morgen geht’s fort aus unserm schönen Land.«
    »Unser schönes Land hat keine schöne Justiz, Dega. Vielleicht lernen wir andere Länder kennen, die nicht so schön sind wie unseres, aber in denen Menschen, die gefehlt haben, menschlicher behandelt werden.«
    Ich hätte nicht gedacht, so ins Schwarze zu treffen. Die Zukunft lehrte mich, wie recht ich gehabt hatte.
Abfahrt ins Bagno
    Um sechs Uhr geht es los. Zuchthäusler kommen und bringen uns den Kaffee. Dann erscheinen vier Aufseher, mit dem Revolver an der Seite. Sie sind heute alle in Weiß, die Knöpfe ihrer makellosen Uniformen sind vergoldet. Einer von ihnen hat ein V aus drei goldenen Borten am linken Ärmel. Auf den Schultern hat er nichts. »Deportierte, alle gehen in Zweierreihen auf den Gang hinaus! Jeder nimmt seinen Sack, die Namen stehen auf den Schildern, und tritt mit dem Gesicht zum Flur an die Wand zurück. Den Sack stellt er vor sich hin.«
    Wir brauchen ungefähr zwanzig Minuten, um uns, jeder mit dem Sack vor sich, aufzustellen.
    »Alles entkleiden, die Sachen zu einem Bündel zusammenrollen und dieses mit den Ärmeln der Bluse zubinden … Sehr gut. Du dort, sammel die Bündel ab und leg sie in die Zellen. Und jetzt ankleiden! Die Unterhose anlegen, das Leibchen, darüber die gestreifte Drillichhose, den Drillichkittel, Schuhe, Strümpfe … Sind alle fertig?«
    »Jawohl, Herr Aufseher!«
    »Gut. Die Wolljacken draußen lassen, für den Fall, daß es regnet oder kalt ist. Den Sack auf die linke Schulter!… Und jetzt in Zweierreihen mir nach!«
    Der mit den goldenen Borten, flankiert von je einem Aufseher links und rechts, geht voraus, der vierte Aufseher geht hinter uns. So marschiert unsere kleine Kolonne auf den Hof zu. In knappen zwei Stunden stehen die achthundertzehn Sträflinge in Reih und Glied. Vierzig Mann werden aufgerufen, darunter wir,

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