Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
Vom Netzwerk:
neunhundert Bagnosträflinge stehen morgens im Hof der Festung versammelt. Seit ungefähr einer Stunde füllen wir in Zehnerreihen das Rechteck des Hofes. Da öffnet sich eine Tür, und Männer in gut aussehenden hellblauen Uniformen, die anders sind als die der Gendarmen oder der Soldaten, strömen in den Hof. Sie tragen jeder einen breiten Gürtel mit einer Revolvertasche, aus der der Griff der Waffe hervorschaut. Es sind ungefähr achtzig Mann zwischen fünfunddreißig und fünfzig Jahren. Ein paar von ihnen haben Goldborten. Alle sind braungebrannt. Die älteren wirken sympathischer als die jungen, die sich wichtigtuerisch in die Brust werfen. Der Stab dieser Uniformierten wird begleitet vom Gefängnisdirektor, von einem Gendarmerieobersten, von drei bis vier Ärzten in der Paradeuniform der Kolonien und zwei Geistlichen in weißer Soutane. Der Gendarmerieoberst führt ein Sprachrohr an den Mund. Man erwartet ein »Habt acht!« Aber nichts dergleichen geschieht.
    »Alle herhören!« ruft er nur. »Von jetzt an stehen Sie unter der Oberaufsicht des Justizministers als Repräsentanten der Strafverwaltung von Französisch-Guayana. Verwaltungszentrum ist die Stadt Cayenne.
    Herr Kommandant Barrot, ich übergebe Ihnen hiermit die achthundertsechzehn Verurteilten, die sich hier auf dieser Liste befinden. Wollen Sie bitte feststellen, ob alle anwesend sind.«
    Man beginnt mit dem Aufrufen der Namen. Jeder Aufgerufene brüllt sein »Hier!« Das dauert zwei Stunden.
    Alles geht ordnungsgemäß. Dann werden auf einem kleinen Tisch die Unterschriften zwischen den beiden Verwaltungsbehörden ausgetauscht.
    Kommandant Barrot, ebenso betreßt wie der Oberst, nur in Gold, nicht in Silber wie die Gendarmerie, ergreift nun das Sprachrohr.
    »Deportierte! Das ist das Wort, mit dem man Sie künftig ansprechen wird. Der Deportierte Soundso oder Deportierter Nummer soundso. Von jetzt an unt erstehen Sie dem Spezialgesetz des Bagnos, seinen Verordnungen und seiner internen Gerichtsbarkeit, die im Bedarfsfall die nötigen Entscheidungen treffen wird. Dieses autonome Gericht kann Sie für alle im Bagno begangenen Delikte von einfachem Gefängnis bis zur Todesstrafe verurteilen. Selbstverständlich werden die Disziplinarstrafen, Gefängnis oder Zuchthaus, in den hierfür bestimmten verwaltungseigenen Gebäuden verbüßt. Die Beamten, die Sie hier vor sich sehen, sind Aufseher. Wer das Wort an sie richten will, sagt ›Herr Aufseher‹. Nach der Suppe wird jeder von Ihnen einen Seesack mit der Uniform des Bagnos erhalten. Es ist für alles gesorgt, andere Kleidungsstücke als diese hier werden Sie nicht brauchen. Morgen werden Sie auf die ›Martiniere‹ eingeschifft. Wir reisen zusammen. Verzweifeln Sie nicht, Sie werden es im Bagno besser haben als im Zuchthaus in Frankreich.
    Sie dürfen miteinander reden, spielen, singen, rauchen und brauchen keine Angst zu haben, schlecht behandelt zu werden, wenn Sie sich gut aufführen. Ich bitte Sie, mit der Schlichtung persönlicher Differenzen zu warten, bis Sie im Bagno sind. Während der Reise muß strengste Disziplin gewahrt werden. Ich hoffe, Sie werden das verstehen. Diejenigen unter Ihnen, die sich der Seefahrt körperlich nicht gewachsen fühlen, mögen sich im Spital melden, wo sie von den Schiffsärzten, die den Konvoi begleiten, untersucht werden.
    Ich wünsche Ihnen eine gute Reise!«
    Die Zeremonie ist beendet.
    »Hallo, Dega, woran denkst du?«
    »Papillon, Alter, ich sehe, daß ich recht hatte: die größte Gefahr für uns sind die anderen Sträflinge. ›Warten Sie mit der Schlichtung ihrer Differenzen, bis Sie im Bagno sind‹ – spricht das nicht Bände? Es muß dort Mord und Totschlag geben.«
    »Mach dir nichts draus, halte dich an mich.«
    Ich suche Francis la Passe. »Ist dein Bruder noch immer Krankenwärter?« frage ich ihn.
    »Ja. Er ist kein Sträfling, er ist verbannt.«
    »Schau, daß du so schnell wie möglich mit ihm Kontakt bekommst. Bitte ihn um ein Skalpell. Wenn er es bezahlt haben will, sag mir, was es kostet, ich werde es berappen.«
    Zwei Stunden später war ich im Besitz eines Skalpells mit sehr starkem Stahlgriff. Sein einziger Fehler war seine Größe, aber es stellte eine gefährliche Waffe dar.
    Ich setzte mich in den Hof, nahe zu den Klosetten, und ließ Galgani suchen, ich wollte ihm seinen Stöpsel zurückgeben. Aber unter den achthundert hin und her laufenden Menschen war er genauso schwer zu finden wie Julot oder Guittou oder Suzini, die seit

Weitere Kostenlose Bücher