Papillon
Tages frei bin, werde auch ich, wann immer ich kann, anderen helfen, wie es mich die ersten Menschen, denen ich in Venezuela begegnet bin, gelehrt haben.
Das Bagno von El Dorado
Zwei Stunden später kommen wir in einem großen Ort an, einem Hafenort, der vorgibt, eine Stadt zu sein: Guiria. Der Polizeipräfekt übergibt uns persönlich dem Gebietskommandanten. Wir werden im Kommissariat mehr oder weniger gut behandelt, aber man unterzieht uns einem Verhör, und der Polizeibeamte, so ein vernagelter Knopf, will absolut nicht zur Kenntnis nehmen, daß wir von Britisch-Guayana gekommen sind und dort frei waren. Obendrein glaubt er, daß wir uns über ihn lustig machen, als wir auf sein Befragen, wieso wir nach der kurzen Strecke von Georgetown bis in den Golf von Paria in einem derart desolaten Zustand und am Ende aller Kräfte ankamen, ihm unsere Taifunabenteuer erzählen.
»Gut und gern zwei große Bananenpflanzungen sind bei diesem Tornado draufgegangen, ein Frachtschiff mit Bauxit ist mit Mann und Maus gesunken, und ihr wollt mir weismachen, daß ihr euch in einem offenen Kahn von fünf Meter Länge gerettet habt? Wer kann so was glauben? Nicht einmal ein Mummelgreis, der auf dem Markt um Almosen bettelt! Ihr lügt! Da steckt irgendein Wurm drin, in dem, was ihr da erzählt.«
»Ziehen Sie bitte Erkundigungen in Georgetown ein.«
»Ich mache mich doch nicht lächerlich bei den Engländern!« Dieser bockige Esel von einem Polizeibeamten, stur und anmaßend, macht, ich weiß nicht was für einen Bericht an irgendwen. Jedenfalls werden wir eines Morgens um fünf geweckt, in Fesseln gelegt, auf einen Lastwagen verfrachtet und fahren einem unbekannten Schicksal entgegen.
Der Hafen von Guiria liegt im Golf von Paria. Die Lage ist auch vorteilhaft, weil hier die Mündung eines mächtigen Stromes ist, fast so mächtig wie der Amazonas, nämlich der Orinoko. Aneinandergefesselt auf dem Lastwagen, wo sich außer uns fünfen noch zehn Polizisten befinden, rollen wir auf Ciudad Bolivar zu, die wichtige Hauptstadt des Staates Bolivien. Die Reise über die Landstraßen war sehr ermüdend. Polizisten und Gefangene, wie ein Sack Nüsse durcheinandergeschüttelt und hin und her gestoßen, fühlten wir uns auf der Plattform des Lastwagens, der schlimmer schaukelte als ein Toboggan, nach einer Reise von fünf Tagen vollständig gerädert. Nachts schliefen wir auf dem Lastwagen, und morgens ging’s wieder auf einem wahrhaft verrückten Kurs dem unbekannten Ziel entgegen. Mehr als tausend Kilometer vom Meer entfernt, mitten im Urwald, der von einer Straße durchschnitten wird, die von Ciudad Bolivar bis El Dorado führt, ging die zermürbende Fahrt endlich zu Ende. Als wir im Ort El Dorado ankommen, sind Polizisten wie Gefangene in einem miserablen Zustand.
Aber was ist dieses El Dorado? Es war einmal ein Ort der Hoffnung spanischer Konquistadoren, die, als sie Indianer aus dieser Region mit Gold ankommen sahen, fest daran glaubten, daß sich hier ein Goldberg oder wenigstens überaus goldhaltige Erde befinden müsse. Tatsächlich ist El Dorado ein Dorf am Ufer eines Flusses, der voll mit Piranhas ist – Raubfischen, die einen Menschen oder ein Tier in wenigen Minuten bis auf das Skelett abnagen können – und mit Tembladores, Zitteraalen, die ihre Beute umkreisen, Mensch oder Tier, ihr einen elektrischen Schlag versetzen und das so gelähmte Lebewesen bis zur völligen Auflösung aussaugen. In der Mitte des Flusses ist eine Insel und auf dieser Insel ein richtiges Konzentrationslager, das Bagno von Venezuela.
Diese Zwangsarbeiterkolonie ist das Härteste, was ich je in meinem Leben gesehen habe, und von barbarischer Unmenschlichkeit gegenüber den Sträflingen, die andauernd geschlagen werden. Es ist ein Geviert von fünfhundert mal fünfhundert Meter, unter freiem Himmel, von Stacheldraht umschlossen. An die vierhundert Männer müssen hier schlafen, im Freien, jeder Witterung ausgesetzt, denn es gibt nur wenige Wellblechhütten außerhalb des Lagers. Ohne irgendwelche Erklärungen unsererseits zu beachten und ohne die getroffene Entscheidung über unser Schicksal auch nur irgendwie zu rechtfertigen, werden wir um drei Uhr nachmittags dem Bagno von El Dorado einverleibt, also unmittelbar nachdem wir, noch todmüde von der zermürbenden Fahrt in Fesseln auf dem Lastwagen, angekommen waren. Um halb vier, ohne auch nur unsere Namen zu registrieren, werden wir herausgerufen, und zwei von uns erhalten einen Spaten, die anderen
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