Papillon
Lagerleiter, der im Dorf ist: ›Führt diese Männer unmittelbar nach ihrer Ankunft zur Arbeit.‹«
»Nun gut, Herr Hauptmann, da Sie Offizier sind, seien Sie bitte so korrekt, bis zur Ankunft Ihrer Chefs die Soldaten anzuweisen, uns anders als die übrigen Gefangenen zu behandeln. Ich versichere Ihnen nochmals, daß wir weder Sträflinge sind noch sein können, weil wir in Venezuela keinerlei Verbrechen begangen haben.«
»In Ordnung«, sagt er. »Ich werde einen Befehl geben. Ich hoffe, Sie haben mich nicht getäuscht.«
Ich habe an diesem ersten Sonntag einen ganzen Nachmittag Zeit gehabt, die Gefangenen zu beobachten.
Die erste Sache, die mir in die Augen sticht, ist ihr guter körperlicher Zustand. Zweitens, Schläge sind dermaßen an der Tagesordnung und die Kerle sind bis zu einem solchen Grad an sie gewöhnt, daß sie selbst am einzigen Ruhetag, am Sonntag, wo sie ihnen durch gutes Verhalten leicht entgehen könnten, ein, möchte man sagen, geradezu masochistisches Vergnügen daran finden, mit dem Feuer zu spielen. Sie hören nicht auf, verbotene Dinge zu tun: sie würfeln, sie treiben’s mit den Jungen auf der Latrine, bestehlen einen Kameraden, werfen den Frauen, die aus dem Dorf kommen und den Gefangenen Süßigkeiten oder Zigaretten bringen, schweinische Reden an den Kopf. Auch Tauschhandel gibt es: ein geflochtener Korb oder irgendein geschnitzter Gegenstand gegen etwas Kleingeld oder Zigaretten. Na, und da gibt’s Gefangene, die der Frau durch den Stacheldrahtzaun hindurch das Angebotene einfach wegnehmen, ohne ihr die zugesagte Ware zu geben, fortlaufen und sich unter den anderen verlieren. Kurz, es hagelt körperliche Mißhandlungen bei jeder Gelegenheit und auch für nichts, ihre Haut ist buchstäblich gegerbt von den
latigos,
den Schlägen mit dem Ochsenziemer. In diesem Lager regiert der Schrecken ohne jeden Nutzen, weder für die Gesellschaft noch für die innere Ordnung, und er bessert diese armen Unglücklichen in keiner Weise. Und doch ist die Korrektionszelle in Saint-Joseph wegen ihres tödlichen Schweigens noch viel schrecklicher als das hier. Hier herrscht die Angst nur zeitweilig, und daß man in der Nacht sprechen darf nach der Arbeitszeit, und auch am Sonntag, und daß man eine kräftige, ausreichende Nahrung erhält, läßt den Mann seine Strafe, die in keinem Fall fünf Jahre überschreitet, sehr gut überstehen.
Wir verbringen den Sonntag mit Rauchen, Kaffeetrinken und Gesprächen untereinander. Einige Kolumbier näherten sich unserem Kreis, wir haben sie freundlich, aber bestimmt abgewiesen. Es ist notwendig, daß sie uns für Gefangene anderer Art halten, sonst sind wir geliefert.
Am nächsten Tag, Montag früh um sechs, sind wir nach einem kräftigen Frühstück mit den anderen zur Arbeit angetreten. Das geht folgendermaßen vor sich: Zwei Reihen Männer stehen einander gegenüber, fünfzig Gefangene – fünfzig Soldaten. Ein Soldat pro Gefangenen. Zwischen den beiden Reihen fünfzig Werkzeuge, Hacken, Schaufeln, Äxte. Die Männer der beiden Reihen mustern sich gegenseitig. Die Gefangenenreihe angstvoll, die Soldatenreihe nervös und sadistisch.
Der Sergeant brüllt: »Der und der – Hacke!«
Der Unglückliche stürzt hin, und in dem Augenblick, wo er die Hacke angreift, um sie auf seine Schulter zu werfen, und losspringt, um zum Arbeitsort zu laufen, schreit der Sergeant: »Nummer soundsoviel!«
Entsprechend der Reihung der Soldaten: Soldat eins, zwei, drei und so weiter. Der Soldat springt ebenfalls los, läuft hinter dem armen Kerl, der ihm gehört, her und schlägt auf ihn mit dem Ochsenziemer ein. Diese schreckliche Szene wiederholt sich zweimal am Tag. Auf der Laufstrecke vom Lager bis zum Arbeitsort hat man den Eindruck, als ob da eine Kompanie peitschender Eseltreiber hinter ihren Vierbeinern herliefe.
Wir standen wie erstarrt und warteten, bis wir an der Reihe waren. Glücklicherweise spielte es sich anders ab.
»Die fünf Cayenner hierher! Ihr Jüngeren nehmt die Hacken, ihr beiden Alten die Schaufeln da.«
Ohne zu rennen, aber doch im Laufschritt, eskortiert von vier Soldaten und einem Feldwebel, geht’s los zur Arbeitsstelle. Es wurde ein noch längerer, noch niederschmetternderer Tag als der erste. Die Männer, die besonders aufs Korn genommen wurden und bereits am Ende ihrer Kräfte waren, schrien wie verrückt und bettelten auf den Knien, daß man sie nicht mehr schlage. Am Nachmittag mußten sie eine Menge Holzhaufen, die schlecht gebrannt
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