Papillon
der Stirn hat er einen Mond eintätowiert.
»Bist du bewaffnet?«
»Nein.«
»Bist du allein?«
»Nein.«
»Wie viele seid ihr?«
»Drei.«
»Führ mich zu deinen Freunden!«
»Das kann ich nicht, denn einer von uns hat einen Karabiner, und ich will nicht, daß du getötet wirst, ehe ich deine Absichten kenne.«
»Dann rühr dich nicht und sprich leise. Seid ihr die drei, die aus dem Spital entsprungen sind?«
»Ja.«
»Wer von euch ist Papillon?«
»Das bin ich selber.«
»So. Du darfst dich rühmen, daß du mit deiner Flucht das ganze Dorf in Aufruhr versetzt hast. Die Hälfte aller Freigelassenen ist von der Gendarmerie verhaftet worden.« Er kommt mit gesenktem Gewehr auf mich zu und reicht mir die Hand.
»Ich bin der Bretone mit der Maske. Hast du nie von mir gehört?«
»Nein, aber ich sehe, daß du kein Menschenjäger bist.«
»Nein, das bin ich nicht. Ich lege hier Fallen, um Hoccos zu fan gen. Einer muß von einem Tiger geschnappt worden sein, wenn ihr es nicht wart.«
»Wir waren es.«
»Willst du Kaffee?« Er hat eine Thermosflasche im Rucksack, nimmt sie heraus und gibt mir zu trinken. Dann trinkt er selbst.
»Komm mit mir zu meinen Freunden«, sage ich. Er kommt mit und setzt sich zu uns. »Das glaube ich, daß von den Menschenjägern keiner nach euch suchen will«, sagt er lächelnd. »Die wissen natürlich, daß ihr mit einem Karabiner weg seid!«
Er erzählt uns, daß er seit zwanzig Jahren in Guayana und seit fünf Jahren frei ist. Er ist fünfundvierzig. Da er die Dummheit begangen hat, sich diese Maske ins Gesicht stechen zu lassen, inter essiert ihn das Leben in Frankreich nicht mehr. Er liebt den Busch und lebt nur noch, um Schlangenhäute, Tigerfelle und Schmetterlinge zu sammeln, vor allem aber, um Hoccos zu jagen, den Vogel, den wir verspeist haben. Er verkauft die Tiere für zweihundert bis zweihundertfünfzig Franc. Ich biete ihm an, den Vogel zu bezahlen.
Unwillig lehnt er ab. »Es ist ein Buschhahn«, erklärt er. »Selbstverständlich hat er weder jemals eine Henne noch einen Hahn oder einen Menschen gesehen. Ich fange ihn, nehme ihn ins Dorf mit und verkaufe ihn an Leute, die Hühner züchten. Er ist sehr gesucht. Man braucht ihm nicht die Flügel zu stutzen, nichts, man setzt ihn einfach am Abend bei Einbruch der Dunkelheit in den Hühnerstall, und wenn man morgens die Tür aufmacht, pflanzt er sich davor auf, daß man meinen könnte, er zählt die Hühner und Hähne, die herausgelaufen kommen. Er frißt mit ihnen und bewacht sie alle überall, sogar im Gebüsch der Umgebung.
Er ist ein unvergleichlicher Wachhund. Abends legt er sich an die Tür und merkt genau, ob ein oder zwei Hühner fehlen. Wieso, weiß man nicht, aber er weiß es und geht auf die Suche nach ihnen. Ob Hahn oder Henne, er holt sie mit heftigen Schnabelhieben zurück und bringt ihnen bei, in Hinkunft pünktlich zu sein. Er tötet Ratten, Schlangen, Spitzmäuse, Spinnen, Tausendfüßler, und wenn ein Raubvogel am Himmel erscheint, schickt er sämtliche Hühner zum Verstecken ins Gras, während er der Gefahr furchtlos ins Auge blickt. Er geht nie mehr fort aus dem Hühnerstall.« Und diesen ungewöhnlichen Vogel haben wir drei aufgefressen wie einen ordinären Hahn!
Der Bretone mit der Maske berichtet, daß Jésus , der Dicke und gegen dreißig Freigelassene im Gendarmeriegefängnis von Saint-Laurent sitzen. Sie werden beobachtet, ob sie irgend jemanden kennen, der um das Gebäude, aus dem wir entkommen sind, herumstreicht. Der Araber ist in einer Zelle der Gendarmerie isoliert und als Mit-schuldiger angeklagt. Er ist unverletzt, während die beiden Posten eine leichte Schwellung am Kopf davongetragen haben. »Mich hat man nicht behelligt, weil jeder weiß, daß ich mich nicht damit abgebe, Fluchtversuche vorzubereiten.« Jesus nennt der Bretone einen Verbrecher. Ich erzähle ihm von dem Boot, und er will es sehen.
»Der hätte euch glatt in den Tod geschickt, der Kerl!« ruft er aus, sowie er es erblickt. »Diese Piroge hält nicht länger als eine Stunde auf See aus, bei der ersten größeren Woge fällt sie auseinander. Damit dürft ihr nicht fahren, das wäre Selbstmord.«
»Aber was sollen wir nun tun?«
»Hast du Flachs?«
»Ja.«
»Dann werde ich dir sagen, was du tun sollst. Mehr als das, ich werde dir helfen, du verdienst es. Ich werde euch helfen, dir und deinen Freunden, nur damit es euch gelingt. Um keinen Preis dürft ihr euch in die Nähe des Dorfes wagen. Ihr müßt auf die
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