Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papillon

Papillon

Titel: Papillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Charrière
Vom Netzwerk:
es ausprobiert und gemerkt, daß es geht.
    »Listo.« Das heißt: Ich bin bereit.
    Antonios Schnauze erscheint am Gitter. Mit einem Hebeldruck, unter Mithilfe Maturettes und des Bretonen, biegt sich die Gitterstange nicht nur zur Seite, sondern bricht ganz heraus. Man hebt mich hinauf, gibt mir einen Schubs, und bevor ich ganz draußen bin, bekomme ich ein paar Kräftige auf den Hintern – der letzte Händedruck meiner Freunde. Wir sind im Hof. Der strömende Regen erzeugt auf den Blechdächern einen infernalischen Lärm. Antonio streckt mir die Hand hin und zieht mich über die Mauer. Der Sprung ist ein Kinderspiel, sie ist nur zwei Meter hoch. Nichtsdestoweniger zerschneide ich mir an einem der Glasscherben oben die Hand. Macht nichts, weiter. Dieser verteufelte Antonio kennt sich sogar im Regen, in dem man keine drei Meter weit sieht, aus. Wir laufen quer durch die Ortschaft, schlagen einen Weg zwischen dem Busch und der Küste ein. Sehr spät in der Nacht stoßen wir auf ein Licht. Wir müssen einen langen Umweg durch den Busch machen. Der Busch ist zum Glück nicht sehr dicht. Wir gelangen wieder auf den Weg. Bis Tagesanbruch marschieren wir im Regen dahin. Antonio hat mir beim Aufbruch ein Kokablatt gegeben, ich kaue es, wie er es im Gefängnis getan hat. Es wird hell. Ich bin überhaupt nicht müde, sicherlich kommt das von dem Blatt. Trotz der Helle marschieren wir weiter. Von Zeit zu Zeit kniet Antonio nieder und legt das Ohr an die klitschnasse Erde. Dann springt er wieder auf, und wir marschieren weiter.
    Antonio hat eine merkwürdige Gangart. Er läuft nicht, er marschiert auch nicht, sondern macht hintereinander lauter kleine Sprünge, alle gleich lang, wobei er mit den Armen ausholt, als rudere er durch die Luft. Er muß etwas gehört haben, denn er zieht mich in den Busch. Es regnet noch immer. Wirklich rollt bald drauf, gezogen von einem Traktor, eine Walze vorüber, vermutlich um den Straßenboden zu planieren.
    Es ist zehn Uhr dreißig, der Regen hat aufgehört, die Sonne scheint. Wir sind neuerdings in den Busch ausgewichen, nachdem wir mehr als einen Kilometer auf Gras, nicht auf dem Weg zurückgelegt haben.
    Unter einem sehr dichten Gebüsch, von stacheliger Vegetation eng umgeben, glaube ich, daß wir nichts zu fürchten haben. Doch Antonio erlaubt mir weder zu rauchen noch zu reden. Er hört nicht auf, den Saft der Blätter zu schlucken, und ich mache es wie er, nur etwas weniger gierig. Er hat einen Beutel mit mehr als zwanzig Blättern bei sich, er zeigt sie mir. Seine herrlichen Zähne blitzen im Schatten, wenn er, ohne den geringsten Laut, lacht. Weil hier alles voller Moskitos ist, hat er eine Zigarre zerkaut, und wir beschmieren uns mit dem nikotinhaltigen Speichel Gesicht und Hände.
    Seither haben wir Ruhe. Sieben Uhr abends. Es ist finster geworden, aber der Weg wird vom Mond erhellt.
    Antonio zeigt mit dem Finger auf neun Uhr und sagt: »Iluvia.« Ich verstehe: um neun Uhr wird es zu regnen beginnen. Und wirklich, um neun Uhr zwanzig fallen die ersten Tropfen. Wir brechen auf. Ich lerne ebenso zu springen und mit den Armen zu rudern wie Antonio, damit ich nicht zurückfalle. Nachts mußten wir dreimal in den Busch, um ein Auto, einen Lastwagen und zuletzt einen Eselkarren vorbeizulassen. Dank der Kokablätter fühle ich bei Tagesanbruch noch immer keine Müdigkeit. Der Regen hat um acht Uhr aufgehört, trotzdem marschieren wir mehr als einen Kilometer leise im Gras, dann treten wir wieder in den Busch, um uns zu verstecken. Der Nachteil der Blätter ist, daß man nicht schlafen kann. Wir haben seit unserem Aufbruch kein Auge geschlossen. Die Pupillen Antonios sind so erweitert, daß man die Iris nicht mehr sieht.
    Bei mir muß es ähnlich sein.
    Neun Uhr abends. Es regnet. Als ob der Regen genau auf diese Stunde warten würde. Ich erfahre erst später, daß der Regen in den Tropen während eines ganzen Mondviertels regelmäßig um die gleiche Zeit einsetzt und um die gleiche Zeit wieder aufhört. In dieser Nacht hören wir zu Anfang unseres Marsches Stimmen, dann sehen wir Licht. »Castillette«, sagt Antonio. Dann nimmt mich dieser Teufelskerl bei der Hand, wir ziehen uns wieder in den Busch zurück, und erst nach einem mühsamen Marsch von mehr als zwei Stunden befinden wir uns wieder auf der Straße. Wir marschieren oder vielmehr hüpfen die ganze restliche Nacht und einen großen Teil des Vormittags hindurch. Die Sonne trocknet die Kleider am Leib. Seit drei Tagen sind wir durch

Weitere Kostenlose Bücher