Papillon
roten Augen eines Albinos. Auch ist er mit einer Khakihose bekleidet. Jetzt verstehe ich, warum der Indianer aus unserem Dorf nie weiter als bis hierher geht.
»Buenos dias – Guten Tag«, begrüßt mich der weiße Indianer. »Tu eres el matador que se fue con Antonio?
Bist du der Mörder, der mit Antonio geflohen ist?… Antonio es compadre mio de sangre – Antonio ist mein Blutsbruder.« Um Blutsbrüder zu werden, legen zwei Männer die Arme aneinander, machen jeder mit dem Messer einen Schnitt in den Arm des andern und bestreichen dann einer den Arm des andern mit dem eigenen Blut und lecken sich gegenseitig die blutverschmierten Hände ab.
»Que quieres? – Was willst du?«
»Agujas, tinta china roja y azul – Nadeln und rote und blaue Tusche … Nada mas – Sonst nichts.«
»Tu lo tendras de aqui a un cuarto de luna – Beim ersten Mondviertel wirst du alles haben.«
Er spricht besser Spanisch als ich, und man merkt, daß er in Kontakt mit den Zivilisierten steht, Tauschgeschäfte organisiert und leidenschaftlich die Interessen seiner Rasse vertritt. Beim Weggehen gibt er mir eine Halskette aus gehämmertem kolumbischem Silber, das sehr weiß ist. »Für Lali«, sagt er. Und dann: »Vuelva a verme – Besuche mich wieder«, und gibt mir, um ganz sicher zu sein, daß ich wiederkomme, einen Bogen.
Ich kehre allein zurück und habe noch nicht die Hälfte des Weges hinter mir, als ich Lali in Begleitung einer sehr jungen, ungefähr zwölf- bis dreizehnjährigen Schwester herankommen sehe. Lali dürfte sechzehn bis achtzehn sein. Bei mir angekommen, packt sie mich wie eine Tollgewordene bei der Brust, und da ich den Kopf abwende, beißt sie mich grausam in den Hals. Ich brauche meine ganze Kraft, um sie zu bändigen.
Plötzlich beruhigt sie sich. Ich setze das kleine Indianermädchen auf den Esel und gehe, mit Lali umschlungen, hinterher. Unterwegs erlege ich eine Eule. Ich habe auf sie geschossen, ohne zu wissen, was es war, nur ihre Augen habe ich im Dunkel leuchten gesehen. Lali will sie um jeden Preis mitnehmen und befestigt sie am Sattel des Esels. Im Morgengrauen kommen wir daheim an. Ich bin so müde, daß ich mich waschen will. Lali wäscht mich eigenhändig, entfernt dann vor meinen Augen das Schamtuch der Schwester, beginnt auch diese zu waschen und wäscht sich schließlich selbst.
Ich sitze bereits im Haus und warte darauf, daß das Wasser, das ich aufgestellt habe, um mir eine Limonade zu machen, zu kochen beginnt, als sie beide wiederkommen. Und nun geschieht etwas, was mir erst später verständlich wird. Lali drängt mir ihre Schwester zwischen die Beine und legt mir die Arme um deren Taille.
Ich merke, daß die Schwester kein Hüfttuch hat und das Halsband trägt, das ich Lali geschenkt habe. Ich weiß nicht, wie ich mich dieser sonderbaren Lage entziehen soll. Sanft befreie ich die Kleine aus der Umklammerung meiner Beine, nehme sie auf den Arm und lege sie in die Hängematte. Ich nehme ihr das Halsband ab und lege es Lali um den Hals. Lali legt sich neben ihre Schwester, und ich lege mich neben Lali. Viel später erst komme ich darauf, daß Lali geglaubt hat, ich hätte mich bereits umgesehen, um meine weitere Flucht vorzubereiten, weil ich vielleicht mit ihr nicht glücklich sei, und daß ihre Schwester mich vielleicht durch ihre Liebe zurückhalten könnte.
Die Augen von Lalis Händen zugedeckt, erwache ich. Es ist schon hoher Morgen, elf Uhr. Die Kleine ist nicht mehr da. Lali sieht mich aus ihren großen grauen Augen verliebt an und beißt mich sanft in den Mundwinkel.
Glücklich will sie mir zeigen, daß sie verstanden hat, daß ich sie liebe und nicht weggegangen bin, weil sie mich nicht zu halten verstehe.
Der Tag ist grau. Vor dem Haus sitzt der junge Indianer, der Lali aufs Meer hinausführt zum Muschelfischen.
Mit sehr sprechendem Mienenspiel schließt er lächelnd die Augen, womit er andeuten will, daß er wohl weiß, daß Lali noch schläft. Ich setze mich zu ihm. Er sagt etwas, was ich nicht verstehe. Er ist ungewöhnlich muskulös und breit wie ein Athlet. Lange betrachtet er meine Tätowierungen, dann gibt er mir durch Zeichen zu verstehen, daß er sich gerne von mir tätowieren ließe. Ich nicke, aber er scheint das für »Ich weiß nicht«
zu halten. Da kommt Lali. Sie hat sich den Körper eingeölt. Sie weiß, daß ich das nicht mag, gibt mir aber zu verstehen, daß das Wasser bei bedecktem Himmel sehr kalt sei. Ihr halb ernstes, halb lustiges
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