Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
eine vorgetäuschte Behauptung, der Nationalsozialismus sei nur eine politische Partei» und «gründe sich auf ein positives Christentum». Vielmehr handle es sich um «eine Theorie, die die Grundlagen der christlichen Religion umstürzt und um so gefährlicher wird, als sie zur Zeit eines extremen Nationalismus verkündet wird, der schon an und für sich eine Häresie bedeutet». In den dunkelsten Farben malte der Rektor der Anima die möglichen Folgen des Neuheidentums an die Wand und forderte nachdrücklich eine grundsätzliche Beschäftigung des kirchlichen Lehramtes mit der nationalsozialistischen Ideologie: «Die Verdammung der Bücher von Rosenberg und Bergmann seitens des Heiligen Offiziums war gewiß ein erster Schritt, scheint mir aber nicht ausreichend gegenüber einer Bewegung, die um so gefährlicher ist, als die beiden anderen falschen Lehren von Nationalismus und vom Totalitärstaat sie begleiten und unterstützen.» Hudals Tagebücher erweisen sich in diesem Punkt als zuverlässig. Der von ihm auf Deutsch abgedruckte Brief an Kardinal Sbarretti vom 7. Oktober 1934 findet sich nämlich in präziser italienischer Übersetzung in den Akten des Heiligen Offiziums.
Dem Wunsch Hudals entsprachen die Kardinäle des Heiligen Offiziums in ihrer Sitzung vom 25. Oktober 1934, die unter dem Vorsitz von Pius XI. stattfand. Der Heilige Vater selbst ordnete ein internes Studium der «delicata questione» an und beauftragte nach Rücksprache mit dem Jesuitengeneral Wladimir Ledóchowski die beiden zunächst in Valkenburg und nun an der Gregoriana in Rom lehrenden Professoren Franz Hürth (1880–1963) und Johann Baptist Rabeneck (1874–1950) mit Gutachten zur Blut- und Rassenlehre des Nationalsozialismus.[ 45 ] Interessanterweise wurden damit zwei deutsche Jesuiten herangezogen, die nicht Mitglieder des Konsults des Heiligen Offiziums waren. Da es sich um eine interne Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie handelte, lag es nahe, deutsche Gutachter einzusetzen. Deutsche Muttersprache und eine genaue Kenntnis der inkriminierten Werke waren für die Bewältigung der Aufgabesicher ideale Voraussetzungen. Warum aber griff der Papst nicht auf den Konsultor Hudal selbst zurück, von dem die Anregung ausgegangen war? Hielt Pius XI. ihn nicht für zuverlässig genug? Oder sollten es eben deutschsprachige Moraltheologen und Dogmatiker der Gesellschaft Jesu sein, die für eine kritische Auseinandersetzung mit Menschenbild und Gesellschaftsmodellen der totalitären neuzeitlichen Ideologien am ehesten wissenschaftlich gerüstet waren? Bezeichnenderweise sollte sich der Ratti-Papst auch 1938 bei der Vorbereitung der nicht erschienenen Anti-Rassismus-Enzyklika ebenfalls der Hilfe der Jesuiten bedienen. Und Hudal fiel spätestens 1936 beim Papst in Ungnade. Vielleicht war Pius XI. aber auch schon 1934 so mißtrauisch geworden, daß er den Rektor der Anima bei der Bestellung der Gutachter überging. Oder er wollte, daß auch
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untersucht würde, was Hudal ja gerade abgelehnt hatte.
Bis Mitte März 1935 lagen der Kongregation zwei ausführliche Gutachten vor. Der Moraltheologe Hürth listete im ersten Votum die wesentlichen Irrtümer der NS-Ideologie auf – die Blut- und Rassenlehre, die autoritäre Staatsform, den Biologismus – und kam zu dem Schluß, daß sich nationalsozialistische Rassentheorie und christliches Menschenbild fundamental widersprächen.[ 46 ] Die ersten Menschen seien, so Hürth, den biblischen Schöpfungsglauben resümierend, von Gott unmittelbar geschaffen worden. Von Adam und Eva leite sich deshalb das gesamte Menschengeschlecht ab. Daher seien alle Menschen und Völker vor Gott grundsätzlich gleichwertig. Eine Herrenrasse, die andere beherrsche, könne es nach katholischer Auffassung nicht geben. Gott wolle das Heil aller Menschen, weil Jesus Christus für alle als Erlöser am Kreuz gestorben sei. Es gebe also nicht mehr Juden und Griechen, nicht mehr Sklaven und Freie, wie Hürth in Anlehnung an den Galater-Brief des Paulus formulierte.
Gleichzeitig reichte Jesuitengeneral Ledóchowski ein weiteres, namentlich nicht unterzeichnetes Votum ein, das von Johann Baptist Rabeneck stammen dürfte. Dieses Gutachten stellt eine kleine Sensation dar. Denn Rabeneck beschäftigte sich fast ausschließlich mit Hitlers
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und wollte das Hauptwerk des Führers und Reichskanzlers zur Grundlage einer feierlichen Verurteilung der modernen Zeitirrtümer machen. Damit war
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