Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
kaum eine Persönlichkeit und so gut wie keine religiöse Praxis des Christentums würden von Rosenberg nicht in den Schmutz gezogen – ein Werk voller Fanatismus, Rassen- und Religionshaß! Allerdings dürfe, so fügte der anonyme Verfasser des Artikels im
Osservatore Romano
mit Nachdruck hinzu, für diese «Verirrung des Menschenverstandes» bei Rosenberg und Konsorten keinesfalls Adolf Hitler verantwortlich gemacht werden, denn der Reichskanzler habe schließlich mehrfach öffentlich erklärt, das «Dritte Reich» auf den Fundamenten des positiven Christentums aufbauen zu wollen. Insbesondere dieses Argumentationsmuster könnte tatsächlich für Alois Hudal als Verfasser des Artikels sprechen, denn es war die erklärte Absicht des Rektors der Anima, die «guten» Nationalsozialisten um Adolf Hitler von den «schlechten» rassistischen Ideologen um Rosenberg, die den Nationalsozialismus als neue Religion propagierten, zu unterscheiden.
Jedenfalls scheinen die Kardinäle des Heiligen Offiziums den anonymen Artikel aus dem
Osservatore Romano,
der auch im Stil einem Konsultorenvotum durchaus entsprach, als Ersatz für das fehlende Gutachten zur Grundlage ihrer Verurteilung des Werks von «Hitlers Chefideologen» (Ernst Piper) genommen zu haben. Insofern hätte Hudal in seinen Lebenserinnerungen dann doch die Wahrheitgeschrieben, wenn er sich als Verfasser des Zensurgutachtens gegen Rosenberg bezeichnete. Das Dekret des Heiligen Offiziums mit dem Verbot des
Mythus des 20. Jahrhunderts
wurde vom Notar der Kongregation am 9. Februar unterzeichnet.[ 38 ] Nachdem es der Papst tags zuvor nach der Überarbeitung durch Kardinalstaatssekretär Pacelli für gut befunden hatte, erschien es am 14. Februar 1934 im
Osservatore Romano.[ 39 ]
Zur Begründung heißt es: «Das Buch verachtet alle Glaubenssätze der katholischen Kirche, ja sogar die Fundamente der christlichen Religion, und verwirft sie völlig. Es kämpft für die Notwendigkeit der Gründung einer neuen Religion oder einer germanischen Kirche und verkündigt das Prinzip: ‹Es erwache heute ein neuer Glaube, der Mythus des Blutes, der Glaube, mit dem Blute auch das göttliche Wesen des Menschen überhaupt zu verteidigen; der mit hellstem Wissen verkörperte Glaube, daß das nordische Blut jenes Mysterium darstellt, welches die alten Sakramente ersetzt und überwunden hat.›»
Die Akten lassen keine Schritte Pacellis erkennen, die darauf gezielt hätten, die Indizierung Rosenbergs zu verhindern, obwohl die Notiz von seiner Audienz bei Pius XI. vom 10. Februar 1934, wie gesehen, seine Zweifel deutlich vor Augen führt, ob eine solche Entscheidung im Hinblick auf die laufenden Nachverhandlungen zum Reichskonkordat politisch wirklich opportun sei. Es bleibt auch offen, warum die übrigen von Hudal angeführten Werke nationalsozialistischer Autoren, namentlich Fritschs
Handbuch der Judenfrage,
nicht indiziert wurden. Hier glaubte Hudal Pacellis bremsenden Einfluß erkennen zu können, der einen Generalangriff gegen nationalsozialistische Autoren habe verhindern wollen. Der Rektor der Anima spricht in seinen Tagebüchern in diesem Zusammenhang von «den Spinnengeweben diplomatischer Berechnungen»[ 40 ] an der Kurie. Er meinte damit, wie er an anderer Stelle seiner «Lebensbeichte» ausführt, niemand anderen als das päpstliche Staatssekretariat und dessen Leiter Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli. Das Staatssekretariat sei in mancher Hinsicht einflußreicher als die Suprema Congregatio des Heiligen Offiziums, «weil die Entscheidungen im wesentlichen von politischen Erwägungen des Augenblicks beeinflußt werden». «Im Staatssekretariat werden auch die vom Heiligen Offizium, der obersten Stelle für das Gebiet des Glaubens und der Sitten, ausgearbeiteten Maximen … auf ihre augenblickliche politische Tragbarkeit und Opportunität einer Veröffentlichungüberprüft, um allen Schwierigkeiten mit den Staaten auszuweichen. So kann heute etwas an sich absolut richtiges als inopportun verurteilt werden, was übermorgen, wenn ein parteipolitischer Szenenwechsel eintritt, von der gleichen Stelle als eigene Auffassung vertreten wird.»[ 41 ] Hudal schätzte Pacelli somit zumindest im Kontext des Falles Rosenberg offensichtlich als Politicante ein, was letztlich auch dessen Amt als politischem Kopf der Kurie entsprach. Er konnte aber für seinen Vorwurf, Pacelli habe sich im Hinblick auf die Indizierung anderer NS-Größen als Bremser erwiesen, keine stichhaltigen
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