Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
und Technik» zurückgehe, weil der Arier «allein der Begründer höheren Menschentums überhaupt war, mithin den Urtyp darstellt, was wir unter dem Wort ‹Mensch› verstehen».[ 51 ]
In der Sitzung des Heiligen Offiziums am 21. März 1935 wurden die beiden Voten ausführlich diskutiert. Pius XI., der den Vorsitz führte, bat dabei den Jesuitengeneral, einige Patres zu beauftragen, die «principi erronei», die irrigen Prinzipien der NS-Ideologie, noch stärkerzusammenzufassen. Ledóchowski reichte daraufhin am 1. Mai eine auf dem zweiten Gutachten beruhende Liste mit siebenundvierzig Propositionen ein: Acht Sätze handelten vom Nationalismus, fünfzehn vom Totalitarismus und vierundzwanzig vom Rassenkult.[ 52 ] Nach Prüfung der Liste in der Sitzung des Heiligen Offiziums vom 2. Mai 1935 ordnete Pius XI. eine weitere Bearbeitung nach der üblichen Vorgehensweise an; jetzt gingen die eigentlichen Mitarbeiter der Suprema Congregatio, die ordentlichen Konsultoren, selbst ans Werk. Es sollte allerdings fast ein Jahr dauern, bis sich die Kardinäle des Heiligen Offiziums wieder mit dieser Thematik beschäftigten.
Pater Martin Gillet, von 1929 bis 1946 Generalmagister der Dominikaner, sah in seinem Gutachten vom 20. April 1936 in Rassismus, Nationalismus und Totalitarismus nichts anderes als «sozialen Modernismus». Dieser führe zu einer Vergottung des Staates sowie einer völligen Absorbierung des Individuums durch die Volksgemeinschaft und müsse – vor allem wegen der Gefährdung der Jugend – unbedingt verurteilt werden. Im Grunde handle es sich dabei nicht nur um allgemein heidnische Irrtümer, vielmehr seien sie dezidiert antireligiös und antikatholisch ausgerichtet: mithin ein neuer Götzenkult, gleichgültig ob er unter dem Namen Nationalismus, Kommunismus, Totalitarismus oder Rassismus auftrete.[ 53 ] Konsultor Ruffini, der bereits in der Auseinandersetzung mit dem deutschen Ökumenismus eine wichtige Rolle gespielt hatte, kam in seinem Votum zu dem Schluß, der Ultranationalismus sei die Häresie des 20. Jahrhunderts schlechthin, von der mehr oder weniger alle Völker infiziert seien, auch Katholiken und sogar Priester. Der vorgelegte Syllabus war ihm aber nicht präzise genug. Er vermische Punkte, die eindeutig gegen den Glauben verstießen, mit anderen, die man durchaus diskutieren könne. Die Irrtümer zum Thema Nationalismus konnten seiner Ansicht nach schlicht in drei Punkten zusammengefaßt werden: 1. Alles hängt vom Blut ab; 2. Förderung der eigenen Rasse um jeden Preis; 3. Erziehung der Jugend zur Liebe zur eigenen Rasse als höchstes Gut.[ 54 ]
Konsultor Domenico Tardini hingegen stellte in seinem Gutachten drei grundsätzliche Fragen.[ 55 ] Zunächst: Soll Rom diese Ideologien überhaupt verurteilen? Diese Frage wurde von Tardini eindeutig bejaht, weil Rassismus und Totalitarismus die individuelle Freiheit zerstörten, die Erziehung der Jugend ruinierten und zu einer Vergottungdes Staates führten. Zum zweiten: Auf welche Weise soll die Verdammung erfolgen? Wegen der Schwere der Irrtümer reiche eine einfache Buchzensur nicht aus. Vielmehr sollten zwei gewichtigere Dokumente erscheinen: eine Enzyklika Pius’ XI. zur feierlichen Verurteilung von Rassismus, Nationalismus und Totalitarismus und ein Dekret des Heiligen Offiziums, das die irrigen Propositionen einzeln aufliste und verdamme. Als historische Vorbilder für dieses Vorgehen führte Tardini neben dem «Syllabus errorum» von 1864 auch die antimodernistischen Aktionen Pius’ X. und des Heiligen Offiziums aus den Jahren 1907 und 1910 an. Schließlich fragte Tardini drittens: Ob die vorgelegten siebenundvierzig Propositionen nicht zu ausführlich seien und zu viele scholastische Fachbegriffe enthielten, was ihre Rezeption entschieden beeinträchtigen könnte? Tardini glaubte, diese Frage bejahen zu müssen, und forderte daher einige wenige, klar geordnete und exakt formulierte Sätze, die allgemeinverständlich sein und die zu verurteilenden Ansichten knapp auf den Punkt bringen müßten. Beide Dokumente bedürften einer äußerst sorgfältigen Vorbereitung, wobei die Reihenfolge ihres Erscheinens (Enzyklika des Papstes vor Syllabus des Heiligen Offiziums oder umgekehrt) gleichgültig sei. Aus der Argumentation Tardinis wird deutlich: Enzyklika und Syllabus sollten sich nicht an Theologen und Bischöfe allein, sondern vor allem an die einfachen Gläubigen richten. Deshalb sollten beide Dokumente in klarer Sprache
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