Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
Jahres 2003 war lediglich die Tatsache der genannten Buchverbote bekannt; über die Hintergründe und Motive der Damnatio konnte jedoch bislang nur spekuliert werden. Leider erweist sich das Inquisitionsarchiv im Fall Rosenberg als große Enttäuschung. Denn in der einschlägigen Akte findet sich – anders als üblich – weder ein Denunziationsschreiben noch ein Gutachten als eigentliche Zensur. Daher kann weiterhin darüber spekuliert werden, ob die Anzeige von den deutschen Bischöfen, aus dem Umfeld des Jesuitenordens oder gar aus der Römischen Kurie selbst kam.[ 33 ] Auch die Behauptung von Bischof Alois Hudal, der als Rektor der deutschen Nationalstiftung Santa Maria dell’Anima in Rom zugleich Konsultor des Heiligen Offiziums war, er selbst habe das Gutachten über Rosenbergs
Mythus
ausgearbeitet, ist nicht mit letzter Sicherheit zu verifizieren. Hudals Tagebücher, aus denen diese Information stammt, wurden in der Forschung bislang – insbesondere insoweit sie sich auf sein Verhältnis zu Nationalsozialismus und Faschismus bezogen – als wenig zuverlässig eingeschätzt, galt er doch selbst als «braun». Die Aktenlage legt die Vermutung nahe, daß ursprünglich gar kein Buchverbotsverfahren gegen Rosenbergs
Mythus
in Rom geplant war. Vielmehr geriet Rosenberg im Kontext der Affäre Bergmann sozusagen nebenher als weiterer Vertreter der nationalsozialistischen Ideologie ins Visier der Glaubenswächter.
Hudal, der Ernst Bergmanns
Deutsche Nationalkirche
begutachtete, regte in seinem Votum an, diese Schrift nicht isoliert zu betrachten, sondern sie als Beispiel für die gefährlichen Ideologen des Nationalsozialismus anzusehen, die er von «guten» Nationalsozialisten wie Adolf Hitler abgrenzte.[ 34 ] Der Beschluß der Konsultoren vom29. Januar 1934 fiel – Hudals Anregungen aufgreifend – klar und deutlich aus. Bergmanns Buch stehe für einen «übertriebenen Nationalismus», eine «Rückkehr zum Heidentum» und eine vollständige «Absorption des Individuums durch den Absolutismus des Staates». Die Konsultoren betrachteten den Nationalsozialismus als «wahre und eigentliche Ketzerei», die sie sogar für schlimmer als den Modernismus hielten. Und sie sprachen sich gegen ein isoliertes Buchverbot der
Deutschen Nationalkirche
aus und verlangten, daß auch die anderen von Hudal genannten Werke, nämlich
Der falsche Gott
und das
Handbuch der Judenfrage
von Theodor Fritsch (1852–1933),
Erlösung von Jesu Christo
von Mathilde Ludendorff (1877–1966),
Germanische Weltdeutung
von Bernhard Kummer (1897–1962) sowie der
Völkische Beobachter
und vor allem Rosenbergs
Mythus,
unbedingt in das Verfahren einbezogen werden sollten.[ 35 ]
Alfred Rosenberg (links) geriet wegen seines Hauptwerks «Der Mythus des 20. Jahrhunderts» aus dem Jahr 1930, in dem er für eine «neue Religion des Blutes» eintrat, ins Visier der obersten Glaubenswächter. Sein Buch wurde indiziert – Adolf Hitlers «Mein Kampf» dagegen nicht.
Der Prozeß entwickelte eine merkwürdige Eigendynamik. Obwohl es eigentlich nur um Bergmann gehen sollte und nur dieser auf der Tagesordnung stand, verurteilten die Kardinäle in ihrer Sitzung vom 7. Februar 1934 Rosenbergs
Mythus
gleich mit.[ 36 ] Die übrigen inkriminierten Titel blieben überraschenderweise jedoch unbeachtet. Bezeichnenderweise erschien genau an dem Tag, an dem die Kongregation desHeiligen Offiziums zu ihrer entscheidenden Sitzung zusammentrat, im
Osservatore Romano
ein anonymer Artikel über Rosenbergs Buch mit der Überschrift «Un libro di odiose falsità per la gioventù tedesca» – «Ein Buch voll gehässiger Falschheiten für die deutsche Jugend», den die Kardinäle als Abonnenten der offiziellen vatikanischen Zeitung vor ihren Beratungen zur Kenntnis genommen haben dürften.[ 37 ] Rosenbergs
Mythus,
bereits in über dreiundsiebzigtausend Exemplaren verbreitet, stelle – so war in dem Beitrag zu lesen – vor allem für die Jugend eine große Gefahr dar. In einer gotteslästerlichen Weise und basierend auf einer radikal materialistischen Auffassung beabsichtige Rosenberg, einen neuen Rasseglauben zu schaffen und damit zugleich eine neue Weltanschauung zu entwerfen. Sein Buch sei zutiefst antichristlich und antikatholisch. Das werde schon dadurch deutlich, daß Rosenberg den Juden Jesus kurzerhand zum unehelichen Sohn eines römischen Soldaten mache. Jede Seite des
Mythus
sei voll von «verleumderischen gotteslästerlichen Ungeheuerlichkeiten». Kaum ein Dogma,
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