Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
formuliert sein und ohne theologisches Fachchinesisch auskommen, eine Aufgabe, die den Konsultoren und Kardinälen, die in neuscholastischen Formeln und Sprachspielen sozialisiert worden waren, vermutlich nicht ganz leicht gefallen sein dürfte.
Tardinis Position setzte sich in der Inquisition im Frühjahr 1936 weitgehend durch. Die Konsultorenversammlung vom 20. April charakterisierte die Ausführungen der verschiedenen Konsultoren zwar als wertvolle Arbeitsgrundlage, hielt es aber für nötig, die Propositionen weiter zu prüfen und sie in einer allgemeinverständlichen Sprache zu formulieren. Die Kardinäle setzten deshalb in ihrer Sitzung vom 29. April 1936 eine zehnköpfige Kommission zur Neufassung des Syllabus ein, die sich neben Faschismus und Nationalsozialismus nun auch noch dem Kommunismus zuwenden sollte und die bis Ende Juni nicht weniger als siebenmal tagte.
Im Juli 1936 ging ein vierundvierzig Seiten umfassender Entwurf in Druck, der in drei Teilen eine Generalabrechnung mit den totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts enthielt:[ 56 ] Teil eins bot die grundsätzlichen Prinzipien der katholischen Lehre über den Menschen als Individuum und Gemeinschaftswesen, in Teil zwei wurde auf der Basis dieser Grundsätze die wahre Lehre über Rasse, Nation und Proletariat entfaltet, wobei man von der Einheit des Menschengeschlechtes ausging. Teil drei schließlich listete die einzelnen zu verurteilenden Irrtümer in einem Syllabus von fündundzwanzig Propositionen auf: acht zum Rassismus, fünf zum Hypernationalismus, acht zum Kommunismus und vier zum Totalitarismus. Weil die Konsultoren offenbar mit dem Vorwurf rechneten, das Ganze sei zu lang und zu umfassend, wiesen sie diesen von vornherein mit dem Argument zurück, viele Verfehlungen und Unsicherheiten auch und gerade unter Katholiken basierten eben genau darauf, daß diese «fundamentalen Wahrheiten entweder nicht verstanden worden oder in Vergessenheit geraten sind». Deshalb müsse das Lehramt sie erneut umfassend einschärfen. Allerdings bekam man im Heiligen Offizium gleichzeitig Angst vor der eigenen Courage, wenn man an eine mögliche Veröffentlichung dieses Textes dachte. Hier spielte das Opportunitätsargument eine entscheidende Rolle. Weil die Konsultoren Konflikte mit den Regierungen in Deutschland und Italien fürchteten, gaben sie zu bedenken, ob es nicht nützlicher wäre, den dritten Teil des Dokuments, den Syllabus mit den zu verurteilenden Sätzen aus Schriften von Mussolini und Hitler, nicht und stattdessen nur die grundsätzlichen positiven Darlegungen der beiden ersten Teile zu publizieren, um so politischen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen.
Man beschloß eine weitere Überarbeitung und Straffung der Liste. Im Oktober 1936 lagen schließlich vierundzwanzig Propositionen mit den wesentlichen weltanschaulichen Irrtümern des 20. Jahrhunderts neu formuliert vor. Dieser Syllabus zerfiel in vier Teile:[ 57 ] Nach acht Sätzen über den Rassismus mit Quellennachweisen vorwiegend aus Hitlers
Mein Kampf
und fünf Propositionen über den Hypernationalismus beziehungsweise Faschismus, geschöpft aus Schriften Mussolinis, folgten acht Sätze zum Kommunismus, die sich vor allem auf Texte von Lenin und Stalin bezogen, sowie drei Propositionen zum Totalitarismus, die wiederum aus Schriften Mussolinis zusammengestelltwaren. In ihrer Sitzung vom 18. November 1936 entschlossen sich die Kardinäle dann aber überraschend, die endgültige Entscheidung der Totalitarismus-Frage auf unbestimmte Zeit zu vertagen – der entsprechende Vermerk lautete «dilata sine die». Man ordnete aber immerhin ein «continuare lo studio», also eine weitere Beschäftigung mit der Thematik an.[ 58 ] Wenn der Papst sich jedoch derzeit öffentlich in der Sache äußern wolle, dann solle er dies speziell zu den Irrtümern des Kommunismus tun. Faschismus und Nationalsozialismus hatten zumindest vorläufig zurückzustehen. In der Privataudienz für den Assessor des Offiziums vom folgenden Tag bestätigte Pius XI. diese Resolution der Kardinäle und ließ erkennen, daß er tatsächlich beabsichtigte, gegen den Kommunismus vorzugehen.[ 59 ] Dem Beschluß vom 18. November entsprechend erarbeitete das Heilige Offizium im Februar und März 1937 neue Propositionen, die sich speziell mit Marx, Lenin und Stalin auseinandersetzten. In der Sitzung vom 17. März 1937 wurde aber auch das Projekt eines Syllabus gegen den Kommunismus zunächst ad acta gelegt, weil man das
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