Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
der Mannigfaltigkeit zu sehen als die Gefahr von Absonderungen. Sie freut sich des geistigen Hochstandes der einzelnen und der Völker. Sie sieht in ihren echten Leistungenmit Mutterfreude und Mutterstolz Erziehungsfrüchte und Fortschritte, die sie segnet und fördert, wo immer sie es im Gewissen kann. Aber sie weiß auch, daß dieser Freiheit Grenzen gezogen sind durch die Majestät des Gottesgebotes, das diese Kirche in allem Wesenhaften als untrennbare Einheit gewollt und gegründet hat.»[ 72 ] Dies ist eine klare Widerlegung der Proposition zum Thema Rassismus – und damit Hitlers – durch eine positive Entfaltung der Lehre der katholischen Kirche. Rabeneck hatte in seinem Votum vom 17. März 1934 die Ansicht Hitlers so zusammengefaßt: «Also gibt es nicht die eine und gleiche Natur aller Menschen, sondern das gesamte Menschengeschlecht ist durch die Natur selbst eingeteilt in Rassen.»
Mit einem interessanten internen Dokument aus dem Heiligen Offizium vom April 1937 – einen Monat nach Erscheinen der Enzyklika – läßt sich eine Gegenprobe für die enge Verwandtschaft von Syllabus und Enzyklika durchführen. Auch den Kardinälen und Konsultoren der Kongregation war nämlich nicht entgangen, daß «Mit brennender Sorge» Passagen enthielt, die sich zumindest mit der gleichen Materie wie der eigene geplante Syllabus beschäftigten. Man gab daher am 1. April eine Synopse in Auftrag, welche die Propositionen zu Rassismus und Hypernationalismus beziehungsweise Totalitarismus mit den Aussagen der Enzyklika vergleichen sollte.[ 73 ] Dabei wurden die positiven Lehraussagen des päpstlichen Schreibens, das bestimmte nationalsozialistische Ansichten zumindest indirekt zurückwies, so behandelt, daß man aus ihnen wieder Propositionen destillierte, in denen man die irrigen NS-Positionen zusammengefaßt sah.
So heißt es zum Beispiel in der Enzyklika: «Wer die Rasse, oder das Volk, oder die Staatsform … zur höchsten Norm aller, auch der religiösen Werte macht und sie mit Götzenkult vergöttert, der verkehrt und fälscht die gottgeschaffene und gottbefohlene Ordnung der Dinge.»[ 74 ] Hieraus gewann man im Heiligen Offizium die zu verwerfende Proposition: «Alles, was dem Volk, oder der Rasse nützt, ist allein dadurch moralisch gut oder ehrenhaft.» Dadurch sah man die dritte Proposition des Syllabus durch «Mit brennender Sorge» zurückgewiesen. Und: In der Enzyklika wurde festgehalten, daß Eltern ein «erstes und ursprüngliches Recht» hätten, «die Erziehung ihrer Kinder im Geiste des wahren Glaubens und in der Übereinstimmung mit seinen Grundsätzen und Vorschriften zu bestimmen».[ 75 ] In der Synopsevom April 1937 wurde dieser Satz als irrige Ansicht der Nationalsozialisten einfach umgedreht und negativ formuliert. Die vierte Proposition des Syllabus zum Rassismus, in der als zu verurteilende und aus
Mein Kampf
gewonnene Ansicht formuliert worden war, einziges Ziel der Erziehung sei es, die Art der Rasse fortzuentwickeln und den Körper zu formen nach der eigenen Rasse als höchstes Gut, galt damit als durch die Enzyklika widerlegt.
Das Erscheinen der Enzyklika «Mit brennender Sorge» wurde im Heiligen Offizium somit als klare lehramtliche Abrechnung mit dem Nationalsozialismus und seiner Rassenlehre ganz im Sinne der eigenen Vorarbeiten zum geplanten Syllabus aufgefaßt. Eine Äußerung des Kardinalsekretärs der Suprema, Sbarretti, vom Mai 1937 stützt diese Interpretation zusätzlich: Anders als noch im Sommer 1936, als man aus Opportunitätsgründen die Propositionen gegen den Rassismus aus Rücksicht auf eine mögliche negative Reaktion der deutschen und italienischen Regierungen nicht publizieren und sich auf eine positive Darstellung der katholischen Prinzipien zu diesem Thema beschränken wollte, war Sbarretti nun der Meinung, nach Erscheinen der Enzyklika «gebe es keine Gründe mehr, die es ratsam erscheinen lassen könnten, die Thesen zum Rassismus auszuschließen».[ 76 ] Mit anderen Worten: Nachdem «Mit brennender Sorge» das getan hatte, wovor man im Heiligen Offizium aus Rücksicht auf die Regierungen in Deutschland und Italien noch zurückgeschreckt war, nämlich den Rassismus direkt anzuprangern, brauchte auch das Heilige Offizium keine Zurückhaltung mehr zu üben.
Sbarretti konnte damals allerdings noch nicht wissen, daß Pius XI. aus politischen Gründen die Studienkongregation mit der Weiterverfolgung des Syllabus gegen den Rassismus beauftragen sollte. In der
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